Die sieben Schätze des Yoga
werden. In kaum einem Buch, Artikel oder Kurs wird jedoch darauf hingewiesen, dass der Yoga eigentlich ein Übungsweg ist, um sich selbst zu erfahren und das eigene Wesen zu entwickeln und zu entfalten. Wenn wir uns auf diesen Weg begeben, werden unser Körper, unser Atem, unser Geist und unser Gemüt selbstverständlich mit einbezogen. Einen tieferen Sinn und eine innere Ausrichtung bekommen all die vielen Yogaübungen aber erst dadurch, dass sie in Verbindung zu der Philosophie gesetzt werden, aus deren Erkenntnissen heraus sie einst entwickelt wurde. Und um die Philosophie nicht nur zu vermitteln, sondern vor allem auch durch das eigene Beispiel erfahrbar werden zu lassen, sind Yogalehrer und -meister vonnöten.
Guru heißt wörtlich übersetzt »Der, der Licht ins Dunkel bringt«. Ein Guru ist der persönliche Lehrer eines Menschen, der sich auf den spirituellen Weg begeben hat. In Indien ist er damit wichtiger als die leiblichen Eltern, denn dort gilt der Guru als Stellvertreter des Wissens und damit des Göttlichen. Der Schüler empfängt sein Wissen in einer genau bemessenen Dosis »durch die Gnade des Guru«, und es gilt auch als Gnade, überhaupt einen Guru zu finden. Der Guru begleitet seinen Schüler ein Leben lang und gibt ihm Wegweisung und Unterstützung. Er sieht ihn so, wie Gott ihn sehen würde: immer in seinem vollen Potenzial.
In Indien ist die Vermittlung von Yoga nur im Rahmen einer Lehrer-Schüler-Beziehung vorstellbar. Der Lehrer wird als spiritueller Wegbegleiter verstanden (modern: Coach), der junge Menschen in die Lebenskunst einweist.
Eine Beziehung voller Hingabe
In meinen fast vierzig Jahren Yogapraxis durfte ich viele bedeutende Meister erleben und bin manchen von ihnen über viele Jahre gefolgt. In ihrem Unterricht bekam ich nicht nur Übungsanweisungen, sondern vor allem auch Wegweisung und Wegbegleitung. Die Meister ließen mich an ihren Erfahrungen und Einsichten teilhaben. Sie luden mich ein, mich auf den Weg zu mir selbst zu machen, der nicht immer nur glatt und eben war, sondern häufig steinig und beschwerlich. Sie machten mir Mut, meinen dunklen Seiten zu begegnen, und beraubten mich meiner falschen Hoffnungen.
Meine Lehrer und Meister halfen mir, meinen eigenen Yogaweg zu finden und die Übungen des Yoga wie Werkzeuge zu benutzen, die mir in (fast) allen Situationen des Alltags gute Dienste leisten. Damit ich wirklich von ihnen lernen konnte, musste ich jedoch zuerst eine Fähigkeit entwickeln, die ich am Beginn meines Yogaweges noch in keiner Weise besaß: Vertrauen! Ich musste lernen, in die Autorität der Lehrer zu vertrauen, darin, dass sie wussten, wann es angebracht war, mich gegen den Strich zu bürsten und an meinen Widerständen zu packen. Obwohl ich zu einer Zeit die Schule und Universität besuchte, in der es zum guten Ton gehörte, jede Autorität zu hinterfragen und bloß ja keinem über 30 zu trauen, war ich nun gefordert, genau das einzuüben. Oft saß oder lag ich im Yogaunterricht und fragte mich, wie es möglich sei, dass jemand mir sagte, was ich tun und was ich lassen sollte, wie ich denken und wie ich fühlen sollte – und dass ich tatsächlich Lust hatte, mich diesen Geboten zu unterwerfen. Die Antwort war immer, dass ich die große Integrität und Verantwortlichkeit der Lehrer empfand – und deshalb war etwas in mir endlich bereit, sich einzulassen und die Unterweisungen und Ratschläge einfach mal anzunehmen. Aus dem jahrelang kultivierten Trotz und Widerstand wurde allmählich Hingabe – und damit konnte das Lernen erst richtig losgehen.
Wenn ich heute mit anderen Yogalehrern und Yogalehrerinnen über diese wichtige Phase der Wandlung zur Hingabe rede, spüre ich oft ein überwältigendes Misstrauen und sehr viel Angst. Es ist die Angst, dass die Hingabe ausgenutzt wird und dass der eigene Wille manipuliert werden könnte. Und es ist die Angst, einem anderen Menschen Macht über das eigene Leben zu geben, also schlussendlich die Angst vor Abhängigkeit. Deswegen meiden viele, die Yoga üben und lehren, eine tief gehende Meister-Schüler-/Lehrer-Schüler-Beziehung, auch wenn sie spüren, dass eine solche Beziehung der wesentliche Faktor ist, um die wandelnde Kraft der Yogalehre wirksam werden zu lassen. Die Yogameister, die ich in diesem Buch vorstellen werde, haben alle für sich einen Prozess der Hingabe an ihren Meister oder an die innere Führung durchlaufen. Sie haben sich bewusst und vollkommen dem Yoga verschrieben – sich entschieden
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