Die Sieben unterirdischen Könige
als sie am Ziel anlangten, tat es ihnen leid, daß die Reise schon zu Ende war und sie
aussteigen mußten. Die Umerziehung machte den Zuschauern viel Spaß,
aber auf Befehl Rusheros durfte niemand lachen. Mentacho, der erste der
aufgewachten Könige, war auch der Hochmütigste unter ihnen. Er war
furchtbar stolz auf seine Abstammung vom legendären Bofaro und
verachtete das einfache Volk. Ihm flüsterte nun Rushero ein, daß er Weber
sei. Ein Werkmeister unterwies den ehemaligen König in den Grundlagen
des Gewerbes, und bald setzte er sich an den Webstuhl und begann das
Schiffchen hin und her zu bewegen. Dabei summte er leise:
,,Wie hab ich mich nach meiner Arbeit gesehnt!”
Elli und Fred platzten beinahe vor Lachen, doch Rushero warf ihnen einen
wütenden Blick zu, worauf sie schnell aus dem Zimmer gingen.
Der Plan der Umerziehung gelang. Die Könige, ihre Minister und Räte
wurden nun Erzgräber, Gießer, Schlosser, Schneider und Köche; die
Lakaien, Soldaten und Spione wurden Bauern, Gärtner, Tierfänger und
Fischer …
Das Gespenst des Hungers war für immer aus dem unterirdischen Land
verbannt.
DER VOLKSRAT
Aber das unterirdische Land sollte bald aufhören zu bestehen. Der Herrscher
Rushero und der neugebildete Altestenrat (dem jetzt auch zwei ehemalige
Könige angehörten) verkündeten nämlich:
„Wer die Höhle verlassen und in die obere Welt ziehen will, darf dies
unangefochten tun. Der Ältestenrat hat schon eine Übereinkunft mit den
Käuern erzielt. Ihr Blaues Land ist groß genug, unsere Menschen werden
dort Land bekommen, das sie bestellen können.”
Zur Entscheidung dieser außerordentlich wichtigen Frage wurde eine große
Volksversammlung einberufen. Als erster nahm Arrigo das Wort.
„Unsere Vorfahren sind vor tausend Jahren aus der oberen Welt vertrieben
worden wegen eines Verbrechens, das Prinz Bofaro begangen hat”, sagte er.
„Ob das Urteil gerecht war oder nicht - darüber zu streiten hat heute keinen
Sinn. Jedenfalls blieben die Menschen in der Höhle. Aber wie leben wir da?
Schaut, wie blaß eure Gesichter, wie dünn eure Arme und Beine sind! Und
wie kränklich sehen unsere Kinder aus, wie viele sterben schon im ersten
Lebensjahr!”
„Richtig! Er sagt die Wahrheit!” riefen viele Stimmen. „Natürlich kann man
in der Höhle leben, das haben wir ja bewiesen”, fuhr Arrigo fort. „Aber wer
will es abstreiten, daß das Klima hier sehr schädlich ist? Die Doktoren Bord
und Robil werden es bestätigen, daß das Leben bei uns viel kürzer ist als
oben.”
„Ja, ja!” riefen Bord und Robil.
„Selbst Zauberwesen wie der Scheuch und der Eiserne Holzfäller sind bei
uns beinahe gestorben, und der König der Tiere hat die Apotheke
leergefressen. Der Apotheker selber hätte beinahe daran glauben müssen,
weil ihm ein so starker Arzneigeruch anhaftete.
Die Menge lachte.
„Ihr werdet zugeben, Freunde”, schloß Arrigo, „daß wir jetzt, da uns
niemand zwingt, in der Höhle zu leben, der tausendjährigen Verbannung ein
Ende machen und in die obere Welt umsiedeln müssen.”
„Eine Frage!” rief der Doktor Robil, der, groß und mager, die Tribüne
bestieg. „Der verehrte Arrigo hat sehr gut gesprochen, jetzt soll er mir aber
sagen, wie wir mit unseren schwachen Augen in der oberen Welt leben
werden!”
„Mit Verlaub!” rief der dicke Doktor Boril, der wie ein Ball aus der Menge
hervorrollte. „Durch diese Frage hat der verehrte Doktor Robil seine völlige
Unwissenheit in medizinischen Dingen verraten.”
Robil schnaubte vor Wut, als er dies hörte. Die Rivalität, die vor Jahrhunderten zwischen den Ahnen der beiden Ärzte bestanden hatte, hatte sich
auf ihre Nachfahren vererbt. „Meine Unwissenheit, sagt Ihr? Wollt Ihr es
mir auch beweisen?” schrie Robil.
„Jawohl, das will ich!” erwiderte Boril. „Die Augen unserer Vorfahren
haben sich an das Halbdunkel der Höhle gewöhnt, und auch unsere Augen
werden sich an das Licht der oberen Welt gewöhnen. Das kann ich
beweisen. Bürger Wenjeno, tretet bitte vor!”
Ein Mann in mittleren Jahren in bäuerlicher Kleidung trat vor.
„Seht, dieser Bürger lebt seit zwei Wochen oben”, fuhr Doktor Boril fort.
„Am Tag hält er sich in einem verdunkelten Zelt auf, nachts verläßt er es
und bleibt bis zum Morgengrauen draußen. Darin besteht der Versuch, den
ich mir ausgedacht habe. So, und jetzt erzählt, Freund Wenjeno, wie es Euch
geht!”
„Ich gewöhne mich allmählich an das Licht”,
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