Die Silberdistel (German Edition)
unbeschwerte Lachen der Kinder, die sich in gestohlenen Augenblicken dem Spiel hingaben, drang zu ihnen herüber.
Auf einmal fühlte Jerg sich um viele Jahre zurückversetzt: Auch Cornelius und er waren wie zwei Wilde um den Brunnen gehüpft und hatten dabei die Mädchen geärgert.
Und nun tat sein Sohn das gleiche. Sein und Margas Sohn.
Find.
Cornelius’ Sohn …
Er blickte zu Marga und erschrak, als er ihren fast ängstlichen Gesichtsausdruck sah. Wußte sie denn nicht, daß er ihr längst vergeben hatte? War er in ihren Augen ein Ungeheuer, das sie dafür haßte, daß sie vor vielen Jahren einer menschlichen Schwäche nachgegeben hatte? Haß … Nach dem, was er vor Böblingen gesehen und erlebt hatte, war er vorsichtig geworden mit diesem Wort. Nie würde er es mit Marga oder Find in Verbindung bringen. Denn diese beiden Menschen waren das, was noch zählte in seinem Leben. Viele Hoffnungen hatte er begraben müssen wie seine besten Freunde. Von vielen hoffnungsfrohen Gedanken hatte er Abschied nehmen müssen, und er hatte die böse Ahnung, als würden von Lebensjahr zu Lebensjahr immer mehr dazukommen. Und trotzdem.
Er tat einen Schritt aus dem Schatten der Hauswand hinaus in die Sonne. Unwillkürlich machte Marga es ihm nach. Den Arm um ihre Schulter gelegt, spürte er, wie sie sich langsam im warmen Sonnenlicht entspannte. Gemeinsam blickten sie zu den Kindern hinüber, die sich in ihrem wilden Spiel völlig unbeobachtet wähnten. Dann atmete Jerg tief durch, als habe er einen wichtigen Entschluß gefaßt. Er drehte sich zu Marga um und zog sie näher, bis ihre Gesichter keine zwei Handbreit voneinander entfernt waren. So vorsichtig, als hielte er ein nestwarmes Küken in seiner Hand, legte er seine beiden Arme um ihre knochig gewordenen Schultern. Seine Augen glänzten müde, trotzdem konnte Marga einen ersten Funken Hoffnung in ihnen entdecken. Seine Stimme klang fest wie seit langem nicht mehr. Nach den vielen Monaten der Angst und Unsicherheit, wo nichts mehr so war, wie die Menschen es von ihren Urahnen gekannt hatten, wo kaum mehr ein Gesetz seine Gültigkeit behalten hatte – hatte Jerg etwas gefunden, worin er sich ganz sicher war.
»So wie Cornelius in Find weiterlebt, leben auch unsere Gedanken weiter. Was wir nicht vermocht haben, woran wir gescheitert sind – vielleicht liegt es einmal in unseren Kindern, dies zu erreichen. Im Namen von Cornelius und allen anderen – ich bete dafür!«
WORTERKLÄRUNGEN:
Abgaben, die geleistet werden mußten:
der Zehnte
Ein Zehntel des Einkommens/der Ernte mußte jährlich an die Kirche abgegeben werden.
das Besthaupt
Das beste Stück Vieh im Stall mußte an den Leibherrn abgegeben werden.
Fron
Arbeitseinsatz, den die Bauern mit eigenem Gerät auf den Höfen und Feldern der Feudalherren leisten mußten.
Begriffe des bäuerlichen Lebens:
Allmende
Gemeindeland, das allen Bewohnern eines Dorfes zugänglich ist.
Gewann
Bezeichnung für ein Stück Land, meist findet sich im Namen ein charakteristisches Merkmal des Grundstücks wieder, zum Beispiel »Gewann Rot = rote Erde«.
»einen Säugling
In wirtschaftlich extrem schlechten
himmeln«
Zeiten sahen sich verzweifelte Mütter manchmal gezwungen, ein Kind so lange zu vernachlässigen, bis es schließlich starb und ›in den Himmel ging‹, wo es das Kind nach Ansicht seiner Mutter besser als auf der Erde. Dies wurde mit Duldung der Kirche praktiziert, die so gestorbenen Kindern den Segen gab.
Dreckweiber
Mittelalterliche Bezeichnung für Küchenhilfen.
Kiepe
Hölzernes Gestell zum Tragen von Lasten, welches auf dem Rücken befestigt wurde.
Sackgreiferei
Diebstahl, »jemandem in den Sack greifen«.
»ein unehrlicher Beruf«
In der strengen Gesellschaftsordnung des Mittelalters gab es etliche Berufe, die als »unehrlich« galten. Dazu gehörten beispielweise der Henker und der Abdecker, aber auch der Müller, Schäfer, Bader und Leinweber. Noch heute ist nicht völlig geklärt, wie die teilweise extrem niedere Wertschätzung einzelner Berufsgruppen zustande kam. Tatsache ist, daß kein ehrlicher Bürger gerne mit Menschen der o. g. Berufsstände in Berührung kam, selbst der Krämer nahm deren Geld nur sehr ungern.
lokale Begriffe
Märzenmarkt
Jährlich stattfindender Markt in der Stadt Kirchheim unter Teck, die seit dem Mittelalter das Marktrecht innehat.
Untertürkheim
Südlich von Stuttgart gelegener Ort.
das Remstal
Ca. 30 km südöstlich von Stuttgart gelegenes Weinanbaugebiet.
Kirbe
Anderes
Weitere Kostenlose Bücher