Die silberne Göttin
fuhr fort, in die Landschaft zu starren.
Genug jetzt!
"Iantha, worüber grübelst du?"
Sie zuckte schuldbewusst zusammen und warf ihm einen raschen Blick über die Schulter zu.
"Wieso … nichts Wichtiges."
"Falls du über die letzte Nacht nachdenkst, halte ich das für sehr wichtig." Er bemühte sich, freundlich zu klingen.
Langsam wandte sich Iantha zu ihm um und errötete. "Ich … Ja, es ist wichtig." Für einen Moment blickte sie aus dem Fenster, dann sah sie ihn wieder an. "Ich bin verlegen in deiner Gegenwart. Ich war so … ausschweifend."
Rob lachte leise und griff nach ihrer Hand. "Liebe kleine Elfe, mit ihrem eigenen Mann kann eine Dame überhaupt nicht ausschweifend sein."
"Nun gut, vermutlich nicht. Vielleicht ist hingegeben das richtige Wort." Sie musterte ihre verschlungenen Hände, als sähe sie sie heute zum ersten Mal.
Aber sie nahm die Hand nicht fort. Dadurch ermutigt, zog Rob sie an sich und drückte ihr einen zarten Kuss auf die Lippen. "Nur wenn beide sich einander völlig hingeben, können wir die Wonnen der Liebe erleben."
" Du hast das letzte Nacht aber nicht getan." Sie blickte ihn fragend an.
"Nein. Ich hatte Angst, dass ich dich dann zu sehr ängstigen würde."
Iantha dachte einen Moment lang nach. "Das heißt also, dass du unser Beisammensein nicht voll genießen kannst, solange du befürchtest, mich zu erschrecken."
Rob schüttelte den Kopf. "Nein, aber es ist immer besser, ein geschorenes Lamm vor dem kalten Wind zu schützen. Ich will gerne warten, bis wir uns näher gekommen sind. Doch immer, wenn wir uns näher kommen, schreckst du wieder zurück."
"Es tut mir Leid." Er konnte ihre Bestürzung an ihrem Gesicht ablesen. "Ich habe das nicht gewollt. Es ist alles so neu … und ich bin nicht daran gewöhnt …" Sie seufzte. "Es ist lange her, dass ich irgendjemandem meine Zuneigung zeigen konnte, und die Liebe …" Sie runzelte die Stirn. "Sie enthüllt alles."
Rob ergriff auch ihre andere Hand. "Das ist wahr. Sie entblößt unser Innerstes genauso wie unsere Körper."
Sie nickte. "Ja. Deshalb fällt es mir so schwer, denke ich. Aber ich bemühe mich doch."
"Ich weiß, dass du das tust. Ich sollte dich nicht so drängen."
"Vielleicht brauche ich aber einen kleinen Schubs." Sie lächelte scheu.
"Wenn das so ist …" Rob zog sie zu sich herüber, sodass sie in seinem Schoß lag. "Sich in einer Kutsche zu lieben, ist nicht so einfach, und darum wollen wir es gar nicht erst versuchen. Aber du bist schon wieder ganz kalt." Er breitete die Kutschdecke über sie aus, und Iantha lehnte sich an seine Schulter. Rob schmiegte die Wange in ihr Haar.
Und die Einsamkeit war nicht mehr ganz so groß.
Es war sehr kalt geworden. Ein wolkenschwerer Himmel begleitete sie auf ihrem Heimweg nach The Eyrie. Wahrscheinlich würde bald wieder Schnee fallen. Obwohl sie sich einen großen Teil der Reise in Robs Arme gekuschelt hatte, fühlte sich Iantha völlig durchgefroren, als sie zu Hause ankamen. Selbst Rob blies sich in die Hände, um sie zu wärmen, während sie die Eingangshalle des alten Schlosses betraten. Gailsgill eilte sofort herbei, sobald er sie kommen hörte.
"Willkommen zu Hause, Mylord … Mylady. In der Bibliothek brennt ein schönes Feuer, wenn Sie möchten, dass ich Ihnen dort den Tee serviere."
"Oh, danke, Gailsgill." Iantha ließ sich vom Butler den Umhang abnehmen. "Tee wäre jetzt sehr willkommen."
Sie wollte zur Bibliothek gehen, blieb aber stehen und blickte sich nach Rob um. Er nahm gerade einen Stapel Briefe von einem Tischchen in der Halle. "Ich komme schon. Wir können uns das da dann in Ruhe ansehen."
Er warf die Post auf den Schreibtisch, zog zwei Sessel näher zum Feuer und legte dann jedem von ihnen ein Bündel Briefe in den Schoß. Iantha fand einige Briefe von La Belle Assemblée und einen von ihrer älteren Schwester. Sie legte alle beiseite, um sie später zu lesen und betrachtete ein kleines, mit Kordel verschnürtes Päckchen.
"Von wem ist das?" Rob blickte vom Sortieren seiner eigenen Post auf.
Iantha drehte das Päckchen in den Händen. "Ich weiß es nicht. Ich erkenne die Handschrift nicht."
"Lass mich." Ohne auf Erlaubnis zu warten, nahm Rob das Päckchen und riss es auf. Ein Blatt Papier flatterte heraus und fiel zu Boden.
Iantha beugte sich vor, hob es auf und las. Sie rang nach Luft.
Die Botschaft war in Blockbuchstaben auf das Papier gekritzelt: "BALD."
Ein Schwindelgefühl drohte, sie zu übermannen. Sie ließ das Papier wieder
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