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Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick deWitt
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beiden Übeltäter von Zähnen, doch ich hatte für die schmerzlose Brachialmethode nur ein Lachen übrig. Lediglich Charlie konnte das alles nicht mitansehen und zog sich in den Saloon auf der anderen Straßenseite zurück. »Feigling!«, rief ihm Watts hinterher, während er die Löcher vernähte und meinen Mund mit Watte ausstopfte. Anschließend führte er mich an ein Marmorwaschbecken und zeigte mir ein zierliches Bürstchen mit langem Griff und grauweißen Borsten. »Dies«, sagte er, »dies ist eine Zahnbürste. Sie hält die Zähne sauber und sorgt für reinen Atem. Ich zeige Ihnen, wie sie funktioniert.« Der Doktor demonstrierte mir den korrekten Gebrauch der Bürste und blies mir seinen minzfrischen Atem ins Gesicht. Dann gab er mir ebenfalls eine von diesen Bürsten und dazu ein sogenanntes Zahnpulver, das den minzfrischen Schaum machte, und sagte, ich könne alle diese Gegenstände behalten. Ich wollte protestieren, doch er sagte, es handle sich um kostenlose Proben des Herstellers. Ich zahlte zwei Dollar fürs Zahnreißen, worauf er die Whiskeyflasche hervorholte, um auf das, wie er es nannte, Geschäft auf Gegenseitigkeit anzustoßen. Alles in allem erlebte ich Watts als freundlichen, umgänglichen Menschen und bedauerte sehr, als Charlie dann in den Laden gestürmt kam und den guten Doktor die Pistole vor die Nase hielt und brüllte: »Ich habe ehrlich versucht, mit dir ins Geschäft zu kommen, oder etwa nicht?« Er war rot im Gesicht vom vielen Branntwein.
    »Ich frage mich, woran ich dieses Mal pleitegehe«, sagte Watts verloren.
    »Weiß ich nicht, ist mir auch egal. Eli, nimm die Nadeln und die betäubende Medizin. Watts, du holst mir einen Strick, aber schnell. Wenn du irgendeine krumme Tour versuchst, blase ich dir ein Loch ins Hirn.«
    »Ich habe zuweilen das Gefühl, da ist schon eines.« Zu mir gewandt, sagte er: »Das Streben nach Geld und einem angenehmen Leben hat mich müde gemacht. Achte gut auf deine Zähne, mein Sohn, und halte deinen Mund sauber. Dann bleibt dein Atem frisch, und deine Worte klingen umso süßer, hab ich nicht recht?«
    Charlies Faust traf ihn am Ohr und setzte damit seiner Rede den Schlusspunkt.

Wir ritten bis zum Abend und bis mir so schwindlig wurde, dass ich meinte, aus dem Sattel zu kippen. Ich fragte Charlie, ob wir nicht irgendwo übernachten könnten. Er war auch dafür, aber nur, wenn wir irgendwo ein Dach über dem Kopf fänden, denn es sah nach Regen aus. Dann roch er irgendwo Kaminfeuer. Wir ritten dem Geruch nach, bis wir eine Hütte erblickten mit einem schwachen Flackerlicht im einzigen Fenster und Rauch, der gleich zerzauster Watte aus dem Rohr kam. Eine Alte, gehüllt in Lumpen und eine alte Flickendecke, öffnete auf unser Klopfen. Lange graue Haare sprossen ihr am Kinn, und ihr halb geöffneter Mund starrte vor schwarzen Zahnklüften. Charlie stand vor ihr, ergeben den Hut wringend, und berichtete bühnenreif von erlittener Not. Das quallige Auge der Alten fiel auf mich, und sofort überkam mich ein Schauder. Wortlos watschelte sie zurück in den Raum, und ich hörte das Scharren eines Stuhls. Charlie wandte sich zu mir und fragte: »Was meinst du?«
    »Reiten wir lieber weiter.«
    »Aber sie hat uns die Tür aufgemacht.«
    »Mit ihr stimmt etwas nicht.«
    Er trat gegen einen Schneehaufen. »Wenigstens kann sie einen Ofen stochen, was willst du mehr? Wir wollen ja nicht ewig hierbleiben.«
    »Trotzdem, reiten wir lieber weiter«, wiederholte ich.
    »Tür zu!«, rief die Alte.
    »Also ich würde mich schon gerne ein paar Stunden aufwärmen«, sagte Charlie.
    »Ich bin hier der Kranke. Und ich will weiter.«
    »Ich bin dafür hierzubleiben.«
    Der Schatten der Alten huschte über die Rückwand der Hütte, ehe sie selbst erneut im Türrahmen erschien. »Tür zu!«, kreischte sie. »Tür zu, Tür zu!«
    »Siehst du, sie bittet uns herein.«
    Natürlich bittet sie uns herein, dachte ich. Aber nur weil sie uns zum Fressen gern hat. Ich war indes zu schwach, um Widerstand zu leisten, und ließ mich von meinem Bruder in die Hütte schieben.
    Darin befanden sich ein Tisch, ein Stuhl sowie ein schmutziger Strohsack. Charlie und ich setzten uns vor dem Kamin auf die nackten krummen Dielen. Die angenehme Wärme des Feuers beruhigte mich zumindest zeitweise. Die Alte setzte sich an den Tisch und sprach kein einziges Wort. In ihrer Lumpenvermummung blieb ihr Gesicht gänzlich unsichtbar, doch kamen jetzt ihre Hände zum Vorschein. Sie griffen nach dem Haufen

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