Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
Mund loszuwerden, der mich seit einem Tag begleitete. Ich wartete, bis sich das Wasser in meinem Mund erwärmt hatte, dann ließ ich es hin und her über die Wunde sprudeln, in der Hoffnung, sie dadurch zu reinigen. Allerdings bekam ich einen gehörigen Schreck, als sich in der Folge ein klumpiges Etwas löste, das sich anfühlte wie großes Stück Haut. Ich spuckte es auf den Boden, auf dem es mit einem ekelerregenden Klatsch landete und wo ich es mir, auf allen vieren, genauer besah. Es war zylindrisch in der Form und schwarz wie nichts sonst an einem Menschen, wodurch mein Herz zu galoppieren begann. Hatte mir Doktor Watts heimlich einen Egel in den Mund gesetzt? Ich tippte das Ding mit den Fingern an, doch es zeigte sich, dass es nur der Wattetampon war, den er mir zwischen Zähne und Gaumen geklemmt hatte. Ich warf das Ding ins Feuer, wo es langsam und zischend an einem lohenden Stuhlbein hinabrutschte und eine Spur von Blut und Spucke hinterließ.
Draußen stieg der Dunst aus der Wiese auf, und ich war nur froh, die Ereignisse der vergangenen Tage überlebt zu haben, dazu gehörten die Spinne, mein geschwollener Kopf und der Fluch der alten Hexe. Ich füllte meine Lunge mit so viel kalter Luft, wie sie nur aushielt, und rief nach meinem Pferd. »Tub!«, rief ich in die mich umgebende Wildnis. »Ich bin gefangen in der Hütte der alten Hexe.« Er hob den Kopf und sah mich an, das mahlende Maul voll trocknem Gras. »Tub, steh mir bei in der Stunde der Not.«
Ich bereitete mir ein bescheidenes Frühstück, bestehend aus Speck, Hafergrütze und Kaffee. Leider blieb dabei ein Stück Knorpel in der Zahnwunde stecken, dessen Entfernung nicht nur schwierig war, sondern zu einer erneuten Blutung führte. In diesem Moment fiel mir die Zahnbürste ein, welche ich dann zusammen mit dem Zahnpulver aus der Westentasche holte und ordentlich neben die Blechtasse legte. Watts hatte mir nichts darüber gesagt, ob ich sie schon während der Wundheilung verwenden konnte oder nicht, doch ich machte mich, wenngleich vorsichtig, umgehend ans Werk. Ich befeuchtete die Borsten und gab ein bisschen Zahnpulver darauf. »Von oben nach unten, von unten nach oben, von rechts nach links, von links nach rechts«, sagte ich mir vor, denn so hatte es mir der Doktor erklärt. Schnell füllte sich mein Mund mit minzigem Schaum, und ich schrubbte sogar meine Zunge, bis sie wehtat. Dann steckte ich den Kopf durchs Fenster und spuckte das blutige Wasser hinaus auf den schneebedeckten Schlamm. Mein Atem war mit einem Mal ganz kühl und roch außerordentlich gut, und ich war beeindruckt von dem Frischegefühl, das mir diese Zahnbürste verschaffte. Ich beschloss, sie von da an täglich zu benutzen, und tippte mir mit ihr gedankenverloren an die Nase. Mit anderen Worten, ich dachte also gar nichts oder an mehrere Sachen gleichzeitig, als ich den Bären sah, der sich aus dem Unterholz meinem Pferd Tub näherte.
Es war ein Grizzly. Er war groß und bewegte sich auf langen Beinen. Vermutlich war er gerade erst aus dem Winterschlaf erwacht. Mein Pferd Tub musste ihn auch gesehen haben – oder gewittert. Jedenfalls scheute er und riss an seiner Leine, vergebens, er vermochte sich nicht zu befreien. Ich stellte mich in sicherem Abstand an die Tür und gab schnell hintereinander sechs Schuss aus meinem Revolver ab, die jedoch, da ich in Panik feuerte, ihr Ziel verfehlten. Auch ließ den Bären die Sprache meiner Waffe ziemlich kalt, im Gegenteil, er kam immer näher. Als ich endlich den zweiten Revolver in der Hand hielt, befand er sich unmittelbar vor meinem Pferd Tub. Ich feuerte noch zweimal, dann sprang er den Gaul an, riss ihn zu Boden und versetzte ihm mit seiner Pranke einen harten Schlag aufs Auge. Auf diese Weise befand sich der Bär hinter meinem Pferd Tub, wodurch ich kein freies Schussfeld mehr hatte, es sei denn, ich wollte das Leben meines Pferdes riskieren. Da mir nun gar keine andere Wahl mehr blieb und ich keine Lust verspürte, mein Pferd abgeschlachtet zu sehen, übertrat ich die vermaledeite Türschwelle und lief geradewegs in das Gemetzel hinein, wobei ich aber so viel Geschrei machte, wie ich nur konnte. Der Grizzly sah mich und stutzte, unschlüssig. Sollte er in seinem blutigen Werk fortfahren oder musste er sich erst dieses lautstarken, lästigen Zweibeiners entledigen? Er überlegte wohl noch, da bekam er von mir zwei Kugeln in den pelzigen Schädel und zwei in die Brust und fiel tot ins Gras. Ob mein Pferd Tub noch lebte, ließ
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