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Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick deWitt
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vier, fünf Stunden gemächlich weiter, ehe wir erneut das Lager aufschlugen. Charlie fragte mich mehrmals, wie es mir ginge, und ich hätte ihm gern verlässliche Antwort gegeben, doch ehrlich gesagt, wusste ich es selber nicht. Ob es nun an dem Spinnengift lag oder dem Gegenmittel des bedrängten Doktors, ich war in meinem eigenen Körper nicht mehr daheim. Die folgende Nacht verbrachte ich unruhig und fiebrig, und als ich am Morgen aufwachte und Charlies Gruß erwiderte, schrie er bei meinem Anblick erschrocken auf. Ich fragte ihn, was los sei, und er reichte mir einen Blechteller, der sich als Spiegel benutzen ließ.
    »Was ist das?«, fragte ich.
    »Das ist dein Kopf, mein Freund.« Er stellte sich auf seine Absätze und pfiff anerkennend.
    Die ganze linke Seite meines Gesichts war, vom Hals bis zum Scheitel, grotesk angeschwollen, erst an der Schulter normalisierte sich die Situation. Mein Auge war nur noch ein schmaler Schlitz, und Charlie, der seinen Humor wiedergefunden hatte, meinte, ich sähe aus wie ein Hund – und warf probeweise sogar ein Stöckchen. Ich lokalisierte die Ursache der Schwellung im Unterkiefer. Eine kurze Berührung der linken unteren Zahnreihe räumte jeden Zweifel aus. Sofort durchfuhr mich ein stechender Schmerz von Kopf bis Fuß und wieder zurück.
    »Ich schätze mal, in deiner Rübe schwappen gerade fünf Liter Blut zusätzlich«, sagte Charlie.
    »Woher hattest du eigentlich den Arzt? Wir sollten ihn noch einmal aufsuchen, dann kann er die Stelle punktieren.«
    Doch Charlie schüttelte den Kopf. »Der Arzt von neulich fällt aus. Wir hatten eine unschöne Meinungsverschiedenheit hinsichtlich seines Honorars. Behandeln wird er dich voraussichtlich nicht mehr. Aber er erwähnte etwas von einer Siedlung weiter südlich. Dorthin sollten wir gehen, falls du das schaffst.«
    »Ich glaube, ich habe keine andere Wahl.«
    »Wie so oft im Leben, Bruderherz. Wie so oft im Leben.«
    Auch wenn das bewaldete, leicht abschüssige Gelände leicht zu reiten war, ging es nur langsam vorwärts. Ich fühlte mich trotzdem eigenartig heiter, so, als sei alles nur ein Spazierritt. Leider stolperte dann mein Pferd Tub, wodurch meine Zähne aufeinanderschlugen und ich vor Schmerz aufheulte, was natürlich ziemlich lächerlich war. Um mein Gebiss zu schonen, schob ich mir einen Priem zwischen die Zähne. Bald schwamm mein Mund in Tabaksaft, den ich wegen der Schmerzen aber nicht ausspucken konnte. Also beugte ich mich nur nach vorn und ließ die Soße auf den Hals meines Pferdes Tub tropfen. Wir gerieten kurzzeitig sogar in ein Schneegestöber, doch mir waren die wilden Flocken ganz recht, denn sie kühlten mein Gesicht. Mein ganzer Kopf hatte mittlerweile Schlagseite, und Charlie, der mich immer wieder von allen Seiten beglotzte, sagte: »Man sieht es sogar von hinten. Man könnte denken, deine Haare sind geschwollen.« Um die Stadt mit dem unbezahlten Doktor machten wir einen großen Bogen, der nächste Ort lag auch nur wenige Meilen weiter. Ein namenloses Kaff mit einer einzigen Straße und weniger als hundert Einwohnern. Aber das Glück war mit uns, denn wir trafen dort auf einen Zahndoktor namens Watts, der vor seinem Geschäft saß und eine Pfeife schmauchte. Bei unserem Näherkommen grinste er und sagte: »Ist das nicht eine herrliche Profession – wo einem selbst der Anblick der Entstellten Freude bereitet!« Er führte mich in sein kleines, gut ausgestattetes Behandlungszimmer und ließ mich auf einem Ledersessel Platz nehmen, der vor Neuheit nur so quietschte. Dann zog er ein Instrumententablett heran und stellte mir allerlei Fragen zu meiner zahnmedizinischen Vorgeschichte, auf die ich zum Großteil keine befriedigenden Antworten hatte. Mir schien jedoch, dass er nichts davon wirklich wissen wollte, sondern einfach nur die Fragerei genoss.
    Ich äußerte den Verdacht, dass mein Zahnproblem mit dem Spinnenbiss beziehungsweise dem Gegengift zu tun hatte, doch Watts meinte, dass zwischen beiden wohl kein medizinischer Zusammenhang bestünde. Allerdings räumte er ein, dass der menschliche Körper schon ein wahres Wunderwerk sei. »Und wer«, sagte er, »vermag so ein Wunderwerk schon bis ins Kleinste zu verstehen? Insofern kann es durchaus die Spinne gewesen sein oder auch eine Reaktion gegen das sogenannte Antidot des Doktors oder aber keines von beidem. Überhaupt, was spielt es für eine Rolle, weswegen Sie krank sind, habe ich recht?«
    Da konnte ich ihm nur zustimmen, und Charlie sagte: »Ich

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