Die Somalia-Doktrin (German Edition)
ihm, brutale Kerle mit Muskelbergen unter den kugelsicheren schwarzen Westen, die dasselbe Emblem schmückte, das Abdi bei dem Überfall auf sein Lager an den weißen Männern gesehen hatte: zwei gekreuzte Gewehr vor einem Schild. Trotz des schummrigen Lichts in dem Flugzeug setzten die Söldner ihre Panoramasonnenbrillen auf. Einer der beiden, dem Anschein nach der Ranghöhere, schrie auf den anderen ein. Er hatte sich ein schwarzes Tuch um den Kopf gebunden und trug einen kurzen Bart. Söldner, Milizen, Soldaten – in Abdis Augen waren sie alle Banditen.
Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. Er hatte keine Ahnung, wo sie mit ihm hinwollten; er wusste nur, dass er ihnen wichtig war. Sonst wäre er bereits tot. Er drehte sich um. Othman saß direkt hinter ihm; neben ihm lag ein bewusstloser Weißer mit blutverschmierter Hose. Othman bedachte Abdi mit einem unheilvollen Lächeln und tippte dem Söldner mit dem Bart auf die Schulter.
Der Bärtige wandte sich um, und die beiden redeten miteinander. Immer wieder warfen sie dabei einen Blick auf den bewusstlosen Mann. Sie drückten einander die Hand. Othman zog ein dickes Bündel Dollarnoten aus der Tasche und gab es dem Bärtigen, der sie gewissenhaft zählte. Er gab einige seinem Partner ab, der sie mit einem Nicken nahm.
Der Bärtige gab Othman ein Jagdmesser und einen Schlüsselring. Dann standen die beiden Söldner auf und gingen nach vorne zu den Passagierplätzen gleich hinter dem Piloten, der die Maschine anließ. Sie setzten Kopfhörer auf und drehten sich nicht mehr um.
Abdis Herz raste. Trotz der kühlen Luft in der Maschine lief ihm der Schweiß in Strömen über Gesicht und Hals. Er war ganz auf sich allein gestellt, im Fonds eines winzigen Flugzeugs, in Handschellen, in seinem Rücken einer der bösartigsten, blutrünstigsten und rachsüchtigsten Kriegsherren der somalischen Geschichte. Und der hatte jetzt ein Messer in der Hand.
Abdi sah sich um. Othman hatte mit einem der Schlüssel die Handschellen geöffnet und dann das Messer aus der Scheide gezogen. Sich seiner Umgebung nicht im Geringsten bewusst, starrte er mit schmalen Augen auf den bewusstlosen Mann. Othman hob das Messer und stieß es dem Weißen bis ans Heft in die Brust. Ein Schauer durchfuhr den Mann, er riss die Augen auf, schlug mit den Armen um sich, umfasste dann das Messer am Heft. Othman legte ihm eine Hand auf die Schulter, zog das Messer heraus und begann dann auf ihn einzustechen, immer wieder, in die Brust, ins Gesicht. Blut spritzte auf die Kleidung des Mannes, auf Othmans Arme und Hände, auf den Boden.
Immer wieder stach Othman zu.
Abdi tat einen tiefen Atemzug.
Er hätte nur diese eine Chance.
Jetzt!
Ohne auf die Schmerzen in seinem Bein zu achten, fuhr er herum. Er riss die Hände mit den Handschellen über den Kopf. Othman bemerkte ihn nicht, so beschäftigt war er damit, die Leiche vor ihm zu zerfleischen. Abdi schlang die Handgelenke um Othmans Hals, benutzte die Kette seiner Fesseln als Garrotte und zog zu. Othman sah sich nach hinten gerissen. Seine Hände fuhren an seinen Hals. Das Messer steckte noch in dem entstellten Gesicht des Mannes vor ihm. Der Kriegsherr versuchte sich aus Abdis Würgegriff zu befreien, aber Abdi zog mit aller Kraft zu. Unter einem entsetzlichen Gurgeln rang Othman nach Luft.
In dem Versuch, nach Abdi zu greifen, fuhren seine Hände über seinem Kopf nach hinten. Seine Nägel gruben sich in Abdis Gesicht. Abdi fuhr zurück und zog die Kette noch fester zu. Othmans Beine begannen wie wild zu zucken, traten gegen die Sitze, gegen die Leiche vor ihm.
Mit letzter Kraft zog Abdi die Kette noch einmal fester. Er spürte, wie sie sich in Othmans Hals grub.
Othmans Körper erschlaffte.
Abdi hielt ihn noch einige Augenblicke, dann ließ er los. Er hob die Handschellen über Othmans Kopf und ließ die Leiche über den Sitz rutschen, als die Maschine abhob. Er durchsuchte Othmans Taschen nach dem Schlüsselring, fand ihn und als einer passte, schloss er seine Handschellen auf. Er hob den Kopf.
Die beiden Söldner hatten sich in ihren Sitzen umgedreht. Mit großen Augen und aufgesperrtem Mund starrten sie den Somalier an.
Kapitel 57
Nairobi, Kenia
30. September 2003
»Nicolas Relat, mein Name, Generalsekretär von Interpol«, sagte der kleine Franzose im beigen Anzug mit zum Schneiden dickem Akzent, kaum dass die Tür des Flugzeugs aufging. »Und das hier sind meine Kollegen vom kenianischen Büro.« Er wies auf vier Kenianer in
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