Die Sonnenposition (German Edition)
Schillern und Irisieren, die geäderten Flügel. Auf dem äußersten Rand trippelte die Fliege immer im Kreis, ein Endlospfad,auf dem sie mit ihren Haftfüßen festhing, eine ziellose Strecke, die sie mit mechanischem Eifer zurücklegte, automatische Fliegenflucht, Rennebahn.
Die Glühbirne sah nicht, daß sich die Wand in hell und dunkel teilte, als wäre sie in zwei verschiedenen Farben gestrichen. Die Horizontlinie, die die Bereiche trennte, schaukelte, wenn die Lampe leicht ins Pendeln geriet.
Auf dem Rand des Schattenfrieses, der die Decke und das obere Drittel der Küche verdüsterte, lief riesenhaft die Fliege. In allen Details, den staksigen Beinen, den Borsten, den monströsen Augen, übermäßig vergrößert, krabbelte ihr Schattenriß über die Wand und ließ seine plump-filigranen Glieder auf der einen Höhe rund um den Raum gleiten, nur an einer Stelle führte die Linie, leicht versetzt, über den Schrank; ein lächerlicher, wie ein Blechspielzeug aufgezogener und unermüdlich abschnurrender Fliegendämon, der uns kindlich-kriecherisch umkreiste, als wären wir der Mittelpunkt eines Karussells.
Meine Schwester goß Tee auf, sie senkte den Kopf über die Kanne, sie bemerkte nichts. Ich aber verfolgte das diabolisch geblähte Bild, es zog wieder und wieder seinen Kreis um uns, und die Geschwindigkeit schien zuzunehmen.
Mich schwindelte leicht, und gerne hätte ich meiner Schwester vorgeschlagen, das Deckenlicht zu löschen und statt dessen die Leuchtröhre über der Spüle anzuschalten, aber ich wagte sie nicht einmal auf das Schauspiel hinzuweisen, als dürfe nichts ihre Verschlossenheit, ihre Verstocktheit, ihren schweigenden Trotz unterbrechen. Der Tee war stark, er hatte zu lange gezogen, eine Assam-Sorte, die nach Kaffee schmeckte.
Als mir später bewußt wurde, daß wir den ganzen Abend nur schwarze Getränke zu uns genommen hatten, fand ich das passend und befriedigend. Wir hatten die fade Cola ausgetrunken, ein paar Dosen bitterer italienischer Pomeranzenlimonade, starken Kräuterlikör.
Auf der Fensterbank schlief die Nachfolgerin der alten Perserkatze, sie schnarchte leicht. Als die Erstkatze das Zeitliche gesegnet hatte, war ohne jede Rücksicht auf mich umgehend eine neue Katze angeschafft worden, die der alten aufs Haar glich. Mila hatte sich bei ihrem Umzug nach Berlin nicht von ihr trennen wollen. Ein Effekt war, daß ich unsere Eltern wieder entspannter besuchte, Mila jedoch seltener sah, als ich angemessen gefunden hätte. Meine Katzenallergie war nicht heftig, ich bekam keine Asthmaanfälle, aber sie beeinträchtigte mich. Wenn sich die Katze in der Nähe aufhielt, röteten sich meine Augen, mein Rachen begann zu jucken, ich nahm es meiner Schwester zuliebe in Kauf. Schlimmer war, daß Mila sich gewöhnlich über mich empörte, daß sie der Ansicht war, ich ließe meine Augen mit Absicht tränen, um sie ins Unrecht zu setzen. An diesem Abend war sie mit anderem beschäftigt. Sie sah mich nicht an.
Odilos Mutter hatte alle Personen benachrichtigt, die in seinem Adreßbuch standen. Die meisten Menschen, mit denen er Umgang gepflegt hatte, kannte sie nicht. Sie benachrichtigte sie pflichtgemäß, es interessierte sie nicht, wer an der Bestattung teilnehmen würde. Insgeheim erfüllte es sie wohl mit Groll, daß ihr Sohn überhaupt seine Zeit mehr und mehr mit Fremden verbracht hatte, sie versuchte, es vor sich selbst zu verbergen, und gab sich leutselig. Schon damals war sie ausgesprochen freundlich, ja übertrieben zugewandt gewesen, wenn ich Odilo traf, es schien mir oft, als halte sie sich für den eigentlichen Anlaß meines Besuchs, sie lachte und scherzte und brachte uns teures Gebäck, aber es war nur ein Manöver, ihre besitzergreifende Haltung von ihrem Sohn für kurze Zeit auf mich zu verschieben.
Ich konnte mir gut vorstellen, daß es ihr gelungen war, meine Schwester aufs höflichste zu informieren, mit ihr am Telefon zu sprechen und sie im selben Atemzug zu ignorieren, alssei Mila nur ein Gegenstand, etwas, das man abhakt. Meine Schwester hatte sich entsprechend während der Zeremonie in ein Ding verwandelt. Sie war in ein strenges schwarzes Kostüm gekleidet. Ich hatte nicht gewußt, daß sie eine so förmliche Gewandung überhaupt besaß, und nicht geglaubt, daß sie, die mit Kleidung so heikel war, dergleichen jemals anziehen würde. Aber es war ihr gelungen, damit in der Menge zu verschwinden, weder von mir noch von Odilos Mutter bemerkt zu werden. Und auch jetzt saß
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