Die Sonnenposition (German Edition)
anziehend, er war ein ewiger Junggeselle und ein Muttersöhnchen, er war konservativ und verklemmt, er war Karrierist und Einzelkind, was mochte sie an ihm gefunden haben, wenn nicht, daß er für sie, wie für alle anderen, unerreichbar war?
Ein nicht direkt unerwünschtes, aber doch nicht erhofftes Kind, empfangen zu einer Zeit, da Eleonore Leonberger an ihre Fruchtbarkeit nicht mehr glaubte, ein Spätling. Er lebte mit seiner Mutter in einem Vorstadthaus in Klinkeroptik, mit schmiedeeisernen Fenstergittern und einem Treppenhaus aus gelben Glasbausteinen. Im Haus hatte es ehemals ein Geschäft gegeben. Das Ladenlokal war zum Wohnzimmer umgewandelt worden, man hatte das Schaufenster, das etwas hervortrat,mit Gardinen verhängt, und auf der überbreiten Fensterbank zog seine Mutter Kakteen und Azaleen und Orchideen, Pflanzen mit Doppel-E.
Er war als Kind bereits erwachsen gewesen, er hatte seine Jugend übersprungen. Von Kindern und Jugendlichen fühlte er sich in Frage gestellt. Er sah an ihnen vorbei, als fürchte und wünsche er ihre Aufmerksamkeit.
Odilo trug zu Hause Strickjacken wie der Kanzler, er war jemand, von dem man sich vorstellen konnte, daß er auch mit vierzig noch bei seiner Mutter wohnte, nachts, wenn sie zu Bett gegangen war, vor dem Fernseher saß und onanierte, auf eine eigenartige Weise Hausherr und auf eine ebenso eigenartige Weise zurückgeblieben; er suchte das Stockfleckig-Unbewegliche seiner Herkunft, die desolate Situation, seiner Mutter der Gattenersatz zu sein, mit Arroganz zu kompensieren.
Dieser Ort, der Vorort, Halbort, wo er wohnte, war einer jener Orte, an denen man auf das Älterwerden wartete, ein Ort, den man selbst als vorläufig betrachtete und der seinerseits unveränderlich blieb, ein Ort, dem das Vorläufige, notdürftig Angebaute, das Vorgartenhafte zum Dauerzustand geriet, und man mußte sich wundern, daß er es nicht anstrebte, den Ort seiner nicht einmal mißratenen, sondern schlicht ausgebliebenen Jugend zu verlassen, um endlich ein Leben zu führen, das seinem Erwachsenenstand, seinem Anspruch, seinem Intellekt entsprach.
Mila trank ihre Limonade aus und drückte ihre Dose mit einem Knacken zusammen. Sie knackte immer weiter, penetrant, knackfroschhaft, wütend und wild, unausstehlich, und ich leerte hastig meine eigene Dose, legte sie auf den Boden und trat hinein. Trat so hinein, daß sich die runden Scheiben von Deckel und Boden um meine Beerdigungsschuhe klemmten, wie ich es früher einmal auf dem Schulhof gelernt hatte. Knackend schritt ich in der Küche auf und ab.
Ich, sagte ich schließlich, muß unsere Eltern anrufen.
Die Eltern erwarteten, daß ich bei ihnen an diesem, meinem Kölner Abend übernachtete. Ich, sagte ich, weiß nicht, wie ich es ihnen erklären soll.
Die Fliege kreiste jetzt unter der Decke, die Katze blinzelte, ihre rosa Nase zuckte, sie streckte eine Pfote heraus, drehte sich und rollte sich behaglich wieder zusammen. Die Katze war faul und verwöhnt, sie ließ sich nur selten dazu herab, Fliegen zu fangen.
Unsere Mutter vor dem gedeckten Kaffeetisch, der Kaffee allmählich verdampft. Unser Vater am Fenster, die Auffahrt beobachtend. Das ganze Gerede vom Autounfall wieder akut.
Mila hob die Brauen. Du sagst ihnen, du kommst dort nicht weg. Die Trauerfeier dehnt sich ins Endlose aus. Seine Mutter hat dich in Anspruch genommen. Du mußt sie trösten. Sie zahlt dir ein Hotel.
Das sagte sie nicht, sie teilte es mit durch ihren Blick. Ausgeschlossen offenbar, den Eltern gegenüber ihre Teilnahme am Begräbnis zu erwähnen. Ausgeschlossen aber auch, den Eltern solche Märchen aufzutischen. In unserer Familie war es üblich, daß Verabredungen eingehalten wurden. Ich jedenfalls war zu Zuverlässigkeit erzogen. Und bisher war ich imstande gewesen, mein Leben so zu organisieren, daß mir, wenn ich etwas zugesagt hatte, nicht plötzlich etwas dazwischenkam.
Der Brummer heftete sich erneut an die Kante des Lampenschirms, nahm seinen Lauf wieder auf. Ich zwang mich, nicht mehr auf die Wand und den huschenden Schatten zu sehen, aus den Augen, aus dem Sinn.
Das Haus an der Beke, dem begradigten Bach, in den Rohre ragten. Im Winter der Bodennebel, weil das Abwasser, welches der Bach führte, warm war. Odilo, der abends im Dunkeln noch spazierenging, Formeln memorierte, nachdachte, Odilo, der durch den Bodennebel schritt.
Jetzt seine Mutter in diesem Haus, von Dämmerlicht umgeben. Mit alten Gewohnheiten, die nicht mehr zählten. Ihre
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