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Die Sonnenposition (German Edition)

Die Sonnenposition (German Edition)

Titel: Die Sonnenposition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Poschmann
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festgesetzt hatte.
    Er arbeitete, bis es richtig hell war, dann knotete er den Gürtel seines Morgenmantels fest, setzte in der Küche die Kaffeemaschine in Betrieb, wusch sich, während der Kaffee durchlief, im Gäste-WC, trug die Warmhaltekanne leise in den ersten Stock zu seinem Arbeitsplatz. Etwas später trat er barfuß auf die Terrasse hinaus, um Atemübungen auszuführen.
    Er schritt über die bereifte Wiese, vorüber am ehemaligen Hühnerstall, in welchem jetzt Gartengeräte lagerten, der Sonnenschirm und die zerlegte Hollywoodschaukel, er schüttete Ölsamen in das Vogelhaus zwischen zwei Rhododendronbüschen, ließ die restlichen Körner auf den Boden des Pappkartons zurückrieseln, und die harten Halme unter seinen Sohlen knackten. Er hinterließ eine dunkle Trittspur im Gras. An der Schwelle zur Küche lag ein Handtuch bereit, er trocknete sich die Füße ab und zog Kniestrümpfe an.
    Die kleinbürgerliche Umgebung, in die er nicht paßte. Der Friseursalon an der Ecke, dessen Besuch er vor sich selbst gewissermaßen geheimhalten mußte. Von außen blickte er auf die damenhaften türkisblauen Trockenhauben, die mit sehr langen Hälsen und hochtoupierten Schaufrisuren beieinanderstanden und einen Leistungsvergleich ihrer Haargebilde anstellten. Er selbst begnügte sich mit einer normalen Kabinenfrisur. Ließ sich die Haare sehr kurz schneiden, soldatisch kurz, den Nacken ausrasieren. Das kurze Haar stand ihm nicht.
    Der Friseur nahm ihm den Umhang ab, er wackelte mit dem Kopf, eine rasend schnelle, kleine Bewegung, wie ein nasserHund sich schüttelt, ein Tick, den er sich für diese Friseurbesuche vorbehielt, als gelänge es ihm damit, Dinge ungeschehen zu machen.
    Die drei Stufen hinab auf den schmalen Bürgersteig, der verlassen dalag, wie ausgefegt. Die Damenhauben kicherten elegant, dazwischen sein Gesicht, mondweiß schwebte es um die türkisen Türme, fast haarlos, sehr nackt. Es löste sich in immer größerer Helligkeit auf, bis es im Spiegeln der Scheibe verschwand.
    Gegen Mittag brachte er zwei Tortenstücke vom Konditor mit. Er bereitete zwei Teller vor, wickelte das Seidenpapier vorsichtig ab und faltete es zärtlich zusammen, er zog das Fettpapier von der Sahnegarnierung und leckte es sauber, bevor er es wegwarf. Er deckte den Kaffeetisch, stellte eine Kerze auf, und während er wartete, daß seine Mutter herunterkam, wedelte er mit einem antistatischen Tuch über den Porzellanpfau, der unentwegt einstaubte. Er besprühte die Orchideen. Seine Mutter kam.
    Narkotisierter Nachmittag. Er saß an seinem Schreibtisch, das Licht schien vom aufgeschlagenen Buch, von unten her auf sein Gesicht zu fallen. Er arbeitete unentwegt. Er hatte kein Hobby. Er brauchte kaum Schlaf.
    Seine Mutter war außer Haus. An den Samstagen fuhr sie zum Einkaufen nach Köln. In einer Zimmerecke plätscherte ein Aquarium, Neonfische standen in Sekundenstarre, Wasserpflanzen wiegten sich in hypnotisierendem Algentempo, und das Plätschern schien sich in grünlichen Blasen vom Aquarium zu lösen, anzuschwellen, ich sehe Odilo in diesem Grün phosphoreszieren, dann erreicht die Blase die Zimmerwände und zergeht, während sich die nächste schon bildet: Er schien immer wieder aufzuflackern in diesem allgemeinen Sepiaton,inmitten der wuchtigen alten Möbel seines Zimmers, die er behutsam berührte, als wären es Haustiere, groß und geduldig.
    Unten drehte sich der Schlüssel in der Tür, seine Mutter stellte ihre Handtasche auf die Anrichte, hängte den Mantel in den Garderobenschrank, stieg aus den Schuhen, die irgendwo verschwanden, schlüpfte in schwarze Samtpantoletten mit Keilabsatz. Niemand, nicht einmal sie selbst, bekam in diesem Haushalt das Innere eines ihrer Schuhe zu Gesicht. Niemand sollte das verfärbte Leder, die dunkleren Druckpunkte, wo der Fuß die innere Sohle berührte, diese seltsame geruchsintensive Intimität wahrnehmen; skandalös genug, daß die Verformungen des Außenleders, die Beulen, die ihr Hammerzeh jedem Schuh zufügte, nicht kaschiert werden konnten, nicht durch das Tragen von Hüten, Pelz noch Parfüm; der Blick ging nach unten, alles fiel auf. Frau Leonberger bewegte sich mit sehr kleinen Schritten, auch wenn sie keine langen Schlauchröcke trug, die sie behindert hätten. Sie schob die Füße voran, ohne sie wirklich vom Boden zu lösen, es waren vornehme und zähe Schritte, aber dennoch wirkte sie mit diesen Pantoffelschrittchen immer kränklich, sie wirkte anfällig und älter, als sie

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