Die Sonnenposition (German Edition)
imgleichen Großklima, teilten die Prägungen der Gegend, den Abscheu vor Karnevalsfestivitäten, die Weigerung, im rheinischen Singsang zu sprechen, das Grundgefühl, in dieser Region stets im Abseits zu sein. Biographische Aufrechnung: Ich hatte in der Grundschule eine Klasse übersprungen. Da ich zwei Jahre Zivildienst leistete, er hingegen wegen seines Herzfehlers von der Wehrpflicht befreit wurde, war er mir schließlich im Studium ein Jahr voraus. Als ich ihn kennenlernte, studierten wir bereits, und er verbrachte seine Tage im Labor.
Er bettete Gewebeproben in Paraffin ein, zerschnitt das so stabilisierte Material in hauchdünne Scheiben, legte die Präparate unter das Mikroskop. Er entnahm Brutschränken Zellkulturen, hantierte mit flüssigem Stickstoff, ließ aus der Pipette Tropfen in Reagenzgläser fallen.
Odilo kam sehr früh, er kam vor allen anderen, hielt die Augen gesenkt. Er blickte an sich herab, sah auf den billigen Bodenbelag, sah sich voranschreiten. Die Institutsflure blendete er aus, ihn empörte die schönheitsabstinente Bauweise der siebziger Jahre, er stellte sich genau so auch die Flure im Sozialamt, in allen demütigenden Ämtern vor.
Bevor er mit der Arbeit begann, hielt er sich eine Weile in dem Vorzimmer auf, in dem das Aquarium stand. Es war ein Raum ohne Tageslicht. Sein Vorgesetzter, ein lässiger Typ, der in Turnschuhen ins Institut kam und sich von den Studenten duzen ließ (was Odilo eisern verweigerte), hatte aus einer Laune heraus auf Institutskosten dieses Aquarium anschaffen lassen. Es beherbergte einige Tannenzapfenfische, an denen sich Leuchtorgane beobachten ließen, und diente weniger der Forschung als vielmehr Repräsentationszwecken. Sollten sich jemals Gäste in diesem Institutsbereich einfinden, würde ihnen gleich ersichtlich sein, womit man sich hier befaßte.
Der Tannenzapfenfisch besaß große gelbe Schuppen, die braun umrandet waren und ihm das Aussehen eines Mischwesens aus Tannenzapfen und Ananas verliehen. Das Leuchtorgan wurde bei geöffnetem Maul sichtbar; an den inneren Lippen lockte es Beute an, die dann im Schlund verschwand. Odilo schloß die Tür, schaltete das Licht aus, setzte sich vor das Becken und meditierte über die blaugrünen Punkte, die durch die Dunkelheit zuckten. Die Leuchtpunkte glitten körperlos vorüber, ihn faszinierte ihre fraglose Eleganz, und doch dienten sie ausschließlich der Täuschung, verübten sie einen Betrug am Gejagten, was man mißbilligen konnte. Odilo allerdings vermied es, einen Gedanken der Mißbilligung zu denken.
Er dachte daran, daß sein dilettantischer Vorgesetzter als erstes Meerestier einen Laternenfisch bestellt hatte, der einige Lichtblitze produzierte und bald verendete, da die Druckverhältnisse im Becken nicht seinem Bedürfnis entsprachen. Der Laternenfisch hatte Licht ausgesandt, wenn ihm das leuchtende Zifferblatt einer Armbanduhr vorgehalten wurde. Er reagierte nicht auf Taschenlampen und größere Scheinwerfer; das Licht mußte so dosiert sein, daß er es als seinesgleichen erkannte.
Dann verdrängte Odilo auch den Gedanken an den bedauernswerten Laternenfisch und legte sich neben das Becken auf den Boden. Aus den Augenwinkeln verfolgte er die Punkte, die an einer gedachten Linie entlangliefen, von ihr ausschwärmten, zurückfanden, er schloß die Augen und atmete tiefer, entspannte sich, ließ seinen rechten Arm schwerer werden, wie er es im Entspannungskurs gelernt hatte, er stellte sich vor, sein bleischwerer Körper werde vom Glanz des Universums erfüllt. Es war ganz einfach. Zehn Minuten autogenen Trainings ersetzten ihm drei Stunden Schlaf.
Die Lichter unter seinen Lidern verschoben sich geräuschlos. Nur die Apparaturen des Beckens rauschten, die Pumpe dröhnte, im Hintergrund summte etwas. Odilo erhob sich, als er hörte, wie sich der Fahrstuhl in Bewegung setzte.
Er fing mit einem Griff eine Maus aus ihrem Käfig, setzte ihr einen Nasenkegel auf, durch den das Anästhetikum verabreicht wurde, und hielt sie fest, bis sie betäubt zusammensackte. An der vorgesehenen Körperpartie rasierte er die Maus, zuerst mit einem elektrischen Rasierer, dann entfernte er überzähliges Haar mit einem handelsüblichen Gel. Er desinfizierte die Haut, zog sie straff, stach die Spritze ein. Er legte die schlafende Maus in ihren Käfig zurück. Wenn sie wieder zu sich kam, sollte sie ein wenig laufen, damit sich der injizierte Stoff D-Luciferin Firefly, die Leuchtsubstanz des amerikanischen
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