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Die Sonnenposition (German Edition)

Die Sonnenposition (German Edition)

Titel: Die Sonnenposition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Poschmann
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aufgrund der Kessellage könne eben der Ausweg nur ein vertikaler sein. Sein Unbehagen aufgrund dieser städtischen Enge, die sich auf sein eigenes Körpergefühl übertrage, nehme immer weiter zu. Es sei, als ob er auch körperlich einen Ausweg suche. Ein Drang, die eigenen Körperwände zu übersteigen, ein Fremdkörpergefühl, ein Aus-sich-herausgehen-Wollen, gegen das ausschließlich Arbeit helfe. Er arbeite viel.
    Wir sprachen über die glatte Tischplatte hinweg wie über eine Wasserfläche, die unsere Worte leicht hinüberhallen ließ, die die Geräusche verstärkte. Wir sprachen über Vögel und Unvermögen, über Glücksversprechen und Erfolg. Wir lobten den Schlaf.
    Also gewohnt, die Nacht größtenteils arbeitend zu verbringen, sei er mittlerweile nicht mehr in der Lage, länger als drei bis vier Stunden zu schlafen. Leistungsbereitschaft und Schlaf – alle bedeutenden Männer seien mit wenig Schlaf ausgekommen. Und er gestehe, er wolle bedeutend werden, er wolle Erfolg. Man versage sich den Schlaf aus Leidenschaft, man brenne für eine Idee, eine Aufgabe, und wenn die Leidenschaft nicht ausreiche, müsse man sie sich eben abringen, sie erzwingen. So habe er damit begonnen, förderliche Umstände mit einer gewissen Gewalt gegen sich selbst herbeizuführen; wenn er nachts arbeite, störe ihn niemand, nachts sei die Zeit seiner höchsten Konzentration. Die Welt ausklammern, sich in glückliche Isolation begeben. Inzwischen habe sich dieses sein Pflichtgefühl verselbständigt; der Schlaf fliehe ihn, eine gewisse innere Abschottung von den Geschäften der Menschen, den falschen Rücksichten, den schäbigen Kompromissen, dem kleinsten gemeinsamen Nenner habe sich verfestigt, er finde nicht mehr zurück.
    Ob er es wolle? Darüber nachzudenken weigere er sich.
    Inzwischen, sagte er, habe er Angst zu schlafen.
    Sattelschlaf. Scheinschlaf. Tage aus Schlaf. Die Leute seien auf Wohlstand aus, auf Bequemlichkeit, merkten in ihrer Dumpfheit kaum, daß sie von anderen gesetzte Ziele verfolgten.
    Splendid isolation, das bedeute, daß er bewußt und gezielt nicht unter die Leute gehe. Sich die primitiven Vergnügungen des Normalverbrauchers verbitte, sich von dessen unausgegorenen Zuständen nicht anstecken lasse.
    Alle anderen schliefen, nur er teile ihre Betäubung nicht, er feiere den Zustand der Wachheit. Er sitze Tag für Tag am Schreibtisch, im Labor, am schlaflosen Fensterglas. Draußen Wolken, die ihr irres Licht ins Zimmer schickten, aufrührerisch.
    Schlaf habe keine Macht mehr über ihn, er biete kein Einfallstor für Schläfrigkeit, weil er mit Licht befaßt sei, mit der Maschinerie des Scheinens.
    Sein Wunsch, die Dinge erstrahlen zu sehen. Ihnen eine Würde zu verleihen, die sie in seinen Augen nicht hatten.
    Er bewundere Menschen mit Ausstrahlung. Aber die eigene Liebesfähigkeit dürfe auch vor den Banalitäten des Lebens nicht haltmachen. Sondern es gelte, dem Unscheinbaren, Läppischen die Unsicherheit zu nehmen, durch den eigenen liebevollen Blick auch die anderen glänzen zu lassen. Ihm gelinge es nach wie vor schlecht. Er könne mit Menschen im Grunde nichts anfangen. Ein Tonic Water, das in der Diskothek unter Schwarzlicht leuchte, imponiere ihm mehr als sein Grundstücksnachbar, der sich seit der Pensionierung am Bürgersteig zu schaffen mache, unter erheblichen Mühen fege, harke, Laub verblase, die Hecke schneide. Es rühre ihn täglich, diesen Nachbarn zu beobachten, den roten Nacken, den steifen Gang, doch echter Respekt wolle nicht aufkommen. Das Empfinden von Peinlichkeit überwiege.
    In letzter Zeit fahre er öfter an die Erft. Er gönne es sich, am Ufer spazierenzugehen und die Schmuckschildkröten zu betrachten, die die Leute, die verantwortungslosen Leute dort ausgesetzt hätten. Weil das Wasser der Erft, bedingt durch den Tagebau, im Winter um 10°C wärmer sei als normal, könnten sich Populationen dort halten. Sie hockten auf den Ufersteinen, auf abgestorbenen Baumstämmen, verschmölzen farblich mit dem Umfeld, und wenn sie die Köpfe einzögen, halte er sie oft selbst für Steine. Diese Schildkröten, die sich kaum bewegten, die sich in ihren schönen, glänzenden, mit Netzmuster überzogenen Panzer zurückzögen, wann immer sie wollten, diese Schildkröten wirkten beruhigend auf ihn, ihr Anblick wiege ihn geradezu ein.
    Die Erft: Hierher kämen Leute wie er, um zu schlafen.
    Er bohrte mit dem Zeigefinger gedankenverloren in die Tischkante, mir fielen seine langen Fingernägel auf,

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