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Die Sonnenposition (German Edition)

Die Sonnenposition (German Edition)

Titel: Die Sonnenposition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Poschmann
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den Tisch geknallt, ihm ein Salz- und Pfefferset. Odilo entfaltete spitzfingrig die dünnknisternde Imbißbudenserviette und wischte damit über das Besteck. Er behauchte den Löffel, auf dem man noch kalkige Tropfenspuren sah, wienerte ihn mit der spröden Serviette blank.
    Ich tauchte ungerührt den Suppenlöffel ein. Aus den Augenwinkeln sah ich die Auerhähne. Sie gruben vergeblich im Boden, sie scharrten und schabten, ihre rauhfiedrigen Füße rutschten von dem dunkel gebeizten Brett, auf dem man sie ausgestellt hatte, immer wieder ab. Ich stellte mir vor, daß ihre Krallen Spuren hinterließen, lange häßliche Kratzer, wie es Hunden unterläuft in einer Wohnung mit Parkett, wie es, in weniger bescheidenem Ausmaß, den Baggern gelang, die ihre Klauenschaufeln in fruchtbaren Lößboden drückten. Die beiden Hähne schlugen ihr kleines schwarzes Rad, sie schritten ruckartig, mit der abgehackten Nervosität eines Sekundenzeigers, sie reckten die Hälse mit dem schillernden Gefieder in potenter Pracht. Auerhähne, vermutlich im Hochsauerland erlegt, wo sich noch einige Exemplare dieser bei uns nahezu ausgestorbenen Vogelart hielten, verbracht in ein nahezu ausgestorbenes Dorf.
    Bauern und Arbeiter des Tagebaus murmelten die Geschichte des Ortes, wie geht es Karl, wie lang ist er schon krank, woran war seine Mutter eigentlich gestorben, hat er die Kühe verkauft, wieviel hat er für das Land bekommen, den Umzug ins Reihenhaus, das sage ich dir gleich, erlebt er nicht mehr, und die Kinder, was machen die Kinder, studieren in Köln, ja, Köln, lange nicht mehr dagewesen, immer zu tun, muß alles laufen, dieses Jahr viele Erdbeeren, richtige Erdbeerplage, meine Frau hat Marmelade gekocht, aber was willst du damit, Hunderte Gläser, könnten noch die Enkel von leben, wird man dochnicht eigens einen Umzugswagen für Marmeladengläser nehmen, macht man sich ja lächerlich ...
    Ein bereits aufgegebenes Dorf, nur noch die Hülle seiner selbst. Als sei es in Wirklichkeit bereits unter der Erde und scheine hier nur noch einmal auf wie in einem wehmütigen Traum. Ein Dorf, das mechanisch weiterfunktionierte, wie ein Huhn, dem man den Kopf abgeschlagen hat und das noch ein paar Meter flattert. Hühnergegend. Die Leute fuhrwerkten noch aus Gewohnheit, fegten ihre Bürgersteige bis zuletzt, fegten schon eine Vergangenheit. Die Meter unter ihnen würden in Kürze abgetragen sein. Sie nähmen ihre Toten mit, ihre Grabsteine. Errichteten ihr Geisterdorf an anderer, ähnlicher Stelle neu.
    In der aufgegebenen Kneipe im aufgegebenen Ort brachte uns die aufgegebene Bedienung zwei Biertulpen mit einem feuchten Pilsdeckchen um den Fuß. Was genau tranken wir? Wir tranken Bier, das Odilo nicht schmeckte. Es gab in dieser Pizzeria ausschließlich Bier.
    Odilo, der in arrogantestem Tonfall von seiner Isolation spricht, seiner Menschenscheu und auch Menschenabscheu, Odilo, der eine Person einfordert, die ihm gewachsen sei, die ihm Widerpart sein könne, Odilo, der sich in einer unbekannten Flüssigkeit ertrinken fühlt, der diktatorisch Mitgefühl verlangt.
    Die horizontale Sehnsucht, so Odilo, die Schwärmerei ins Unendliche führe zu nichts. Im Rheinland neigten die Leute dazu, ihr gesamtes Gefühlsleben einer banalen Fließbewegung aufzuhalsen, sich mit dem verdreckten Rhein in eine Ferne verschaukeln zu lassen, die sich am Ende als ein ebenso verdrecktes Kleinstmeer entpuppe, als die übliche scheußliche Nordsee, ein Schlechtwettermeer voller Bohrplattformen. Seine eigene Mutter habe sich nicht entblödet, einen Kupferstich des romantischen Rheins in ihrem gemeinsamen Wohnzimmer aufzuhängen. Bei jeder Mahlzeit sehe er jetzt diesen elenden Fluß, der nicht einmal eine richtige Mündung aufweise. Er laufe in ein vielarmiges Delta aus, und bevor er die Nordsee überhaupt erreiche, versickere er in den Niederungen Hollands. Aus diesem Grund sei auch niemandem bewußt, in welches Meer sich der Rhein überhaupt ergieße. Das drückende Empfinden eines mit aller Macht betriebenen Versickerns sei bereits auf der Höhe von Bonn so enorm, daß ihm beim Anblick dieses Flusses regelmäßig die Tränen kämen, eines Flusses, der bedauerlicherweise nur noch ein erbärmliches Gewässer sei, ein Strom, der nicht mehr fließe, quasi ein Teich.
    Die Enge Bonns, die Kessellage, behauptete Odilo, sei nur durch vertikale Ausrichtung des eigenen Bewußtseins überhaupt zu ertragen. Man komme gar nicht umhin, aus dieser Enge eine Ausflucht zu wünschen, und

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