Die souveraene Leserin
der Queen, auf dem er, wenn er ihr gerade nicht Gesellschaft leistete oder Aufträge erledigte, seine Zeit mit Lesen verbringen konnte. Das machte ihn bei den übrigen Pagen nicht gerade beliebt, denn sie fanden, er habe ein zu bequemes Pöstchen und sehe nicht gut genug aus, es auch zu verdienen. Gelegentlich kam ein Hofbeamter vorbei und fragte ihn, ob er nichts Besseres zu tun habe, als zu lesen, und anfangs hatte er nichts zu erwidern gewusst. Inzwischen jedoch sagte er meist, er lese etwas für Ihre Majestät, was oft stimmte, die Hofbeamten dennoch genauso häufig verärgerte und sie erfreulich erbost von dannen ziehen ließ.
Die Queen las nun immer mehr und bezog ihre Lektüre von verschiedenen Bibliotheken, darunter auch von ihren eigenen, doch aus sentimentalen Gründen und weil sie Mr. Hutchings mochte, ging sie immer noch gelegentlich in den Küchenhof hinunter, um sich der Bestände des Bücherbusses zu bedienen.
Eines Mittwochnachmittags jedoch war er nicht da, und in der folgenden Woche ebenso wenig. Norman nahm sich der Sache sofort an, doch man teilte ihm lediglich mit, die Tour zum Palast sei wegen allgemeiner Mittelkürzungen eingestellt worden. Norman ließ nicht locker und trieb den Bücherbus schließlich in Pimlico auf, wo er Mr. Hutchings, immer noch beharrlich Bücher etikettierend, auf einem Schulhof entdeckte. Mr. Hutchings klärte ihn auf, obgleich er der zuständigen Abteilung der Bibliothek mitgeteilt habe, dass Ihre Majestät zu seinen Entleihern gehöre, habe er die Bezirksverwaltung damit nicht beeindrucken können, denn diese hatte ihrerseits Erkundigungen bei Hofe angestellt, und dort hatte man jegliches Interesse an der Sache dementiert.
Als der empörte Norman der Queen Bericht erstattete, wirkte sie keineswegs überrascht, denn sie fand nur ihren Verdacht bestätigt, auch wenn sie das nicht äußerte, dass nämlich Lektüre, oder zumindest ihre Lektüre, in Hofkreisen nicht wohlgelitten war.
Wenn der Verlust des Bücherbusses auch ein kleiner Rückschlag war, so hatte er doch ein erfreuliches Nachspiel, denn Mr. Hutchings fand sich auf der nächsten Ehrenliste Ihrer Majestät wieder; er nahm dort zwar keine herausragende Stellung ein, aber zählte doch zu denjenigen, die Ihrer Majestät einen besonderen, persönlichen Dienst erwiesen hatten. Auch das fand keinen Beifall, vor allem nicht bei Sir Kevin.
Da er aus Neuseeland stammte und der Hof mit seiner Ernennung vom gewohnten Muster abwich, wurde Sir Kevin Scatchard in der Presse unweigerlich als neuer Besen gehandelt: ein noch recht junger Mann, der mit einigen entbehrlichen Ehrbezeugungen und schamlosen Schmeicheleien aufräumen würde, welche sich der Monarchie im Lauf der Jahrhunderte angelagert hatten. Die Krone wurde in dieser Darstellung wie das Hochzeitsmahl der Miss Havisham bei Dickens gezeichnet – mit Spinnweben überzogene Kronleuchter, von Mäusen zerfressene Kuchen, und Sir Kevin als ein Mr. Pip, der die stockfleckigen Vorhänge beiseite reißt, um Licht ins Haus zu lassen. Die Queen war im Vorteil, denn sie hatte selbst einmal als frischer Wind gegolten, und so konnte das Szenario sie nicht überzeugen; sie vermutete vielmehr, die steife Brise von den Antipoden werde sich mit der Zeit zu einem lauen Lüftchen abschwächen. Privatsekretäre kamen und gingen, wie Premierminister, und in Sir Kevins Fall hatte die Queen den Eindruck, nur Sprungbrett für eine Karriere in luftigen Konzernhöhen zu sein, die er zweifellos anvisierte. Er hatte einen Abschluss der Harvard Business School, und eines seiner öffentlich verkündeten Ziele war es, die Monarchie zugänglicher zu machen (»unsere Filiale für alle öffnen«, so nannte er das). Die Öffnung des Buckingham-Palastes für Besucher war ein erster Schritt in diese Richtung gewesen, ebenso die Nutzung der Gärten für gelegentliche Konzerte, sowohl Pop als auch Klassik. Das Lesen jedoch beunruhigte ihn.
»Ich habe den Eindruck, Ma’am, dass es vielleicht nicht direkt elitär wirkt, aber doch die falsche Botschaft aussendet. Es schließt gewissermaßen aus.«
»Es schließt aus? Aber die allermeisten Menschen können doch wohl lesen?«
»Sie können lesen, Ma’am, aber ich glaube nicht, dass sie es tun.«
»Dann, Sir Kevin, gebe ich ihnen ein gutes Beispiel.«
Sie schenkte ihm ein reizendes Lächeln und dachte sich dabei, dass Sir Kevin inzwischen immer weniger von einem Neuseeländer an sich hatte, dass sein Akzent die ›Kiwi-Herkunft‹ nur noch schwach
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