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Die Sprache des Feuers - Roman

Die Sprache des Feuers - Roman

Titel: Die Sprache des Feuers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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zwölf bei der Versicherung), haben ihn gelehrt, dass Menschen zu allem fähig sind. Sie lügen, betrügen, stehlen, töten und machen eine Menge Dreck. Hunde hingegen haben einen gewissen Sinn für Ethik.
    Er findet den Hund unter den tiefen Ästen einer Jacaranda. So ein Schoß- und Spielhund, nichts als Knopfaugen und Gekläff.
    »He, Kleiner«, sagt Jack, »ist ja gut.«
    Ist es nicht, aber Menschen lügen nun mal.
    Dem Hund ist es egal. Er ist einfach froh, ein menschliches Wesen zu sehen und eine freundliche Stimme zu hören. Kommt unter dem Baum vor und beschnüffelt Jacks Hand, um rauszukriegen, wer er ist und was er will.
    »Wie heißt du denn?«, fragt Jack.
    Das wird er mir gerade verraten, denkt er.
    »Leo«, sagt eine Stimme, und Jack springt fast aus seinem Papieroverall vor Schreck.
    Er blickt hoch und sieht den alten Mann hinter dem Zaun, mit einem Papagei auf der Schulter.
    »Leo«, wiederholt der Papagei.
    Leo wedelt mit dem Schwanz.
    Was sozusagen der Job des Yorkshire Terriers ist.
    »Na, komm«, sagt Jack, »so ist’s brav.«
    Er nimmt Leo hoch, klemmt ihn unter den Arm, krault ihm den Kopf und geht auf den Zaun zu.
    Er spürt Leos Zittern.
    Wie war das mit der Behauptung, dass Menschen ihren Haustieren ähneln und umgekehrt? Jack dachte immer, das gelte nur für Hunde, aber der alte Mann und der Papagei sehen irgendwie gleich aus. Beide haben sie kräftige Schnäbel: Bei dem Papagei versteht sich das von selbst, aber warum sieht die Nase des Mannes wie ein Papageienschnabel aus? Mann und Papagei wirken wie speziesübergreifende siamesische Zwillinge, nur dass der Papagei grün ist – mit grellroten und gelben Partien –, der alte Mann dagegen überwiegend weiß.
    Weißes Haar, weißes Hemd, weiße Hose. Die Schuhe kann Jack hinter der Hecke nicht sehen, aber er könnte wetten, dass auch sie weiß sind.
    »Howard Meissner«, sagt der Mann, »und Sie sind ein Marsmensch.«
    »Beinahe«, sagt Jack. Er streckt ihm die linke Hand hin, weil er Leo unterm anderen Arm hält. »Jack Wade, California Fire and Life.«
    »Das ist Eliot.«
    Womit er den Papagei meint.
    Eliot, Eliot , krächzt der Papagei.
    »Schöner Vogel«, sagt Jack.
    Schöner Vogel, schöner Vogel .
    Jack ahnt, dass der Papagei den Spruch nicht zum ersten Mal hört.
    »Schrecklich, das mit Pamela«, sagt Meissner. »Ich hab gesehen, wie sie rausgetragen wurde.«
    »Tja.«
    Meissners Augen werden feucht.
    Er greift über den Zaun und streichelt Leo. »Schon gut, Leo. Du hast getan, was du konntest.«
    Jack sieht ihn fragend an, und Meissner erklärt: »Leos Gebell hat mich geweckt. Ich ging ans Fenster, sah das Feuer und wählte die 911 .«
    »Wann war das?«
    »Vier Uhr vierundvierzig.«
    »Das wissen Sie so genau, Mr. Meissner?«
    »Mein Digitalwecker«, sagt Meissner. »Da merkt man sich die Zahlen. Ich rief sofort an. Aber zu spät.«
    »Sie haben getan, was Sie konnten.«
    »Ich dachte, Pamela war aus dem Haus gegangen, weil Leo draußen war.«
    Leo, Leo.
    »Leo war draußen?«, fragt Jack.
    »Ja.«
    »Als Sie ihn bellen hörten?«
    »Ja.«
    »Sind Sie sicher, Mr. Meissner?«
    Schöner Vogel, schöner Vogel.
    Meissner nickt. »Ich habe ihn draußen gesehen, er bellte das Haus an. Ich dachte, Pamela ...«
    »Ist Leo nachts immer draußen?«
    »Ich bitte Sie!«
    Eine dumme Frage, Jack weiß es. Niemand lässt so einen Hund über Nacht draußen. In dieser Gegend sieht man überall die Suchanzeigen: vermisste Terrier und vermisste Katzen, aber bei den vielen Kojoten, die sich hier rumtreiben, ist das kein Wunder.
    »Kojoten«, sagt Jack.
    »Allerdings.«
    »Mr. Meissner«, fragt er weiter, »haben Sie die Flammen gesehen?«
    Meissner nickt.
    »Welche Farbe hatten sie?«
    »Rot.«
    »Ziegelrot, hellrot, knallrot, kirschrot?«
    Meissner denkt nach. »Blutrot. Blutrot trifft es.«
    »Und der Rauch?«
    Kein Zögern, kein Zweifeln: »Schwarz.«
    »Mr. Meissner, wissen Sie, wo sich die Familie aufhielt?«
    »Die Kinder waren bei Nicky zum Übernachten. Zum Glück.«
    »Sind die Eltern geschieden?«
    »Getrennt«, sagt Meissner. »Nicky wohnt jetzt bei seiner Mutter.«
    »Und wo wohnt die Mutter?«
    »Monarch Bay. Das hab ich den Polizisten gesagt, als sie hier waren, wegen der Benachrichtigung.«
    Nur dass sie immer noch suchen, wie Jack von Bentley gehört hat.
    »Mir tun die Kinder leid«, sagt Meissner. Er seufzt das Seufzen eines Mannes, der schon zu viel gesehen hat. »Werden rumgeschoben wie Schachfiguren.«
    »Verstehe«, sagt Jack.

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