Die Spur der Hebamme
Diebeszeichen in die Wangen brannten. Er schrie markerschütternd, stürzte zu Boden und rappelte sich mühsam wieder hoch.
»Ich verfluche Euch! Merkt Euch meinen Namen. Ihr werdet noch hören von Melchior, dem Meister der Diebe«, brüllte der Gebrandmarkte, während er unter dem Hohngeschrei der Dorfbewohner aus dem Ort getrieben wurde.
Nach einigem Zögern folgten ihm ein paar größere Burschen aus dem armseligen Häufchen.
Ein Mädchen und vier Jungen im Alter von Anna und Peter blieben unsicher stehen. Marthe bahnte sich den Weg zu ihnen und vertraute sie ihrer Köchin an. »Sie wird euch mitnehmen, euch etwas zu essen geben, und danach werden wir beraten, wie wir euch unterbringen. Einverstanden?«, sagte sie aufmunternd zu ihren neuen Schützlingen.
Mechthild zögerte nicht lange und schob die Kinder vor sich her. »Vorher könnt ihr Wasser und Seife vertragen«, brummte sie. Trotz ihrer zumeist grimmigen Miene war sie froh, wenn sie jemanden bemuttern konnte, Marthe eingeschlossen, nachdem ihre eigenen Kinder gestorben waren.
Die Menge begann sich zu zerstreuen, um die Urteilssprüche auf dem Heimweg oder in der Schenke ausgiebig zu diskutieren.
Marthe ging zu Christian und kam dazu, als der sich gerade mit strenger Miene den kleinen Dieb vornahm. »Du hast heute großes Glück gehabt, das ist dir doch klar?«
»Ich werde Euch nicht enttäuschen, edler Herr«, versicherteder noch einmal eifrig. »Was immer Ihr befehlt – ich werde es tun. Darf ich Euch dienen, wenn meine Zeit bei der Witwe Elsa vorbei ist?«
»Wir werden sehen«, meinte Christian. Er blickte auf Anna, die zu ihrem Bruder gerannt war und sich an ihn klammerte. »Erst einmal werden wir deine Schwester bei uns aufnehmen.«
Doch über Annas Gesicht zuckte die Angst. »Er hat Euch verflucht. Der Meister hat Euch verflucht«, flüsterte sie. »Er wird wiederkommen und uns Schlimmes antun.«
Marthe strich ihr beruhigend übers Gesicht. »Das wird er nicht. Ihr Kinder steht jetzt unter dem Schutz des tapfersten Ritters in der ganzen Mark Meißen.«
Heikle Gespräche
Mit einem gequälten Aufschrei fuhr Marthe aus dem Schlaf. Im nächsten Augenblick stand Christian vor dem Bett, das blanke Schwert in der Hand, und suchte nach einem Eindringling.
»Ein Alptraum. Weiter nichts«, sagte sie, am ganzen Leib zitternd, während ihr immer noch das Schreckensbild aus dem Traum vor Augen stand: Sie selbst war mit Ketten an die Mauer eines finsteren Kerkers geschmiedet, während dünne, spinnenbeinartige Finger nach ihrem entblößten Körper griffen.
Seit ihrer Flucht aus dem Heimatdorf war Marthe oft von verstörenden Ahnungen und Traumbildern heimgesucht worden, die sich stets auf die eine oder andere Art bewahrheitet hatten. Doch seit ihrer Heirat kam das kaum noch vor, was sie sich mit den Schwangerschaften und der Mutterschaft erklärte. Andererseits warendie letzten drei Jahre zwar nicht ereignislos, aber relativ friedlich verlaufen, ganz im Gegensatz zu den blutigen Geschehnissen davor.
Nur teilweise beruhigt, legte Christian das Schwert wieder neben das Bett, wo er es stets griffbereit aufbewahrte. Doch statt sich wieder zu ihr zu legen, entzündete er eine Kerze und schob die Bettvorhänge ein Stück beiseite, damit das Licht auf Marthe fiel. Dadurch drang zwar noch mehr Kälte zu ihr, aber sie verstand. Christian wollte ihr die Angst vor den Dämonen nehmen, die sie heimgesucht hatten.
»War es der Fluch?«, fragte er schließlich.
Marthe legte sich auf den Rücken und starrte nach oben. Ihr Traumbild war zu verstörend, als dass sie jetzt darüber hätte reden können.
»Das oder die Angst, er könnte zurückkommen und sich rächen«, sagte sie mit einem Anflug von schlechtem Gewissen, weil sie ihm den Alptraum verschwieg.
Die Schreckensszene aus dem Kerker, die ihr immer noch vor Augen stand, erfüllte sie mit abgrundtiefem Entsetzen. War das eine Warnung vor etwas, was tatsächlich geschehen würde? Marthe wünschte sich Josefa her, eine alte weise Frau aus Meißen. Sie hatte Christian aufgezogen, bis er auf den Burgberg beordert wurde, nachdem sein Vater als Spion im Dienst von Markgraf Ottos Vater hingerichtet worden und seine Mutter vor Gram gestorben war. Josefa würde wissen, was das zu bedeuten hatte.
Christian hing inzwischen seinen eigenen düsteren Gedanken nach. »Glaubst du, es wäre besser gewesen, ihn zu hängen? Aber in Meißen hätten sie eher den Jungen als diesen Melchior aufgeknüpft«, sagte er, auf der
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