Die Spur der Hebamme
verbreitete Gestank. Christian sollte befehlen, dass beim allgemeinen Hausputz am Ostersonnabend im ganzen Dorf auch die Straßen gekehrt werden, überlegte Marthe, während sie in die Trippen fuhr, um einigermaßen trockenen Fußes über den Hof zu gelangen. Diese ungewöhnliche Idee würde wohl bei den Bewohnern auf wenig Gegenliebe stoßen, aber das war ihr gleichgültig.
Die kleine Anna, die zum Gänsehüten hinausgeschickt worden war, rannte aufgeregt ins Haus und unterbrach Marthes Gedanken. »Zwei Reiter kommen hierher, Herrin«, stieß sie atemlos hervor.
Marthe zuckte zusammen. Randolf!, war ihr erster und einziger Gedanke. Jeder Tag, der vergangen war, seit Christian ihr von den Neuigkeiten aus Braunschweig erzählt hatte, hatte ihre Hoffnung genährt, der Verhasste könnte entgegen aller Wahrscheinlichkeit ausbleiben.
Sie trat vor die Tür, und sofort breiteten sich Erleichterung und Freude auf ihrem Gesicht aus. Die Ankommenden waren Lukas und sein Bruder Jakob.
»Du wirst immer schöner, Dame Marthe«, begrüßte Lukas sie und zwinkerte ihr zu, bevor er sich über ihre Hand beugte und sie küsste.
»Und du hast schon immer deine Scherze mit mir getrieben«, gab Marthe lächelnd zurück. Der junge Ritter, der nur drei Jahre älter war als Marthe, war für sie der vertrauteste unter ChristiansFreunden. Dabei hatte sie ihn kennengelernt, als sie noch eine blutjunge Wehmutter auf der Flucht und er Christians Knappe war, der blondgelockte Schwarm der Mägde auf dem Meißner Burgberg und stets zu Scherzen aufgelegt. Die gemeinsam überstandenen Gefahren hatten sie einander nähergebracht, als ihre unterschiedliche Herkunft erlaubte. Sie liebte ihn wie einen Bruder.
»Das war kein Scherz«, protestierte Lukas. Doch als sein Blick Marthe traf, wusste sie, dass sich nichts an der Situation geändert hatte, über die sie nie miteinander reden würden: Er liebte sie auch, aber nicht wie eine Schwester, obwohl sie nun als Frau seines Dienstherrn und besten Freundes für ihn unerreichbar war.
Der kleine Thomas rettete die Situation, indem er herbeigerannt kam und sich sofort auf Lukas stürzte. »Reitet Ihr mit mir ein Stück auf Eurem Hengst?«, drängelte er. »Vater lässt mich ja nicht auf Drago.«
Lukas hob den Jungen hoch, wirbelte ihn herum und setzte ihn wieder ab. »Später, mein junger Ritter. Jetzt haben sich die Pferde erst einmal etwas Ruhe und eine Portion Hafer verdient.«
Marthe bat ihn und seinen jüngeren Bruder ins Haus und sorgte dafür, dass sie heiße Suppe, frisches Brot und Bier bekamen.
Christian kam dazu und begrüßte den Freund mit einem herzhaften Schlag auf die Schulter. Die fast zehn Jahre Altersunterschied und der Umstand, dass Lukas einst Christians Knappe war, taten ihrer Freundschaft keinen Abbruch. Christian fand, dass der Jüngere sich durch sein mutiges Eingreifen während Randolfs Schreckensherrschaft seine Achtung und seine Freundschaft mehr als verdient hatte. Dass sie beide die gleiche Frau liebten, war ein Thema, das sie in stillschweigendem Einverständnis mieden.
»Wie steht es um deinen Vater?«, erkundigte sich Christian.
»Der alte Fuchs ist auf wundersame Weise wieder gesundet, nachdem er mir die Zusage für ein Verlöbnis abgepresst hat«, berichtete der sonst fast immer gutgelaunte Lukas düster. »Der einzige Sohn unseres Nachbarn ist bei einem Turnier gestorben. Jetzt soll ich unbedingt seine älteste Tochter heiraten, damit sie einmal die Güter zusammenlegen können.«
»Klingt vernünftig«, entgegnete Christian ungeachtet Lukas’ mürrischer Miene, denn er wusste, welche Last auf den Schultern seines einstigen Knappen lag: Von dessen günstiger Heirat hing ab, ob sein Vater das Geld für die Schwertleite und die Mitgift für Lukas’ jüngere Geschwister aufbringen konnte. Deshalb drängte der Vater auf eine baldige Verbindung und war sogar bereit, sich am Tag der Hochzeit auf sein Altenteil zurückzuziehen und dem Erstgeborenen das Erbe zu übergeben. Doch der hatte bisher keinerlei Interesse an einer Heirat gezeigt.
»Sie haben sie deshalb aus dem Kloster geholt. Erspar mir weitere Einzelheiten«, sagte Lukas in ungewohnt schroffem Ton und ließ keinen Zweifel daran, dass das Thema für ihn damit erschöpfend behandelt war.
Wie jedes Mal, wenn Christians Abreise bevorstand, zählte Marthe voll Kummer die Tage rückwärts, die ihnen noch blieben. Tagsüber war es nicht so schlimm, da hielt die Arbeit sie beschäftigt. Die Kinder
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