Die Spur des Blutes (German Edition)
der ansonsten makellosen Ordnung der Wohnung. »Detective Wells hat das Haus allein verlassen.«
»Wie kommst du darauf?« Burnett klang, als überraschte ihn ihre Folgerung.
»Aber es hat ein Kampf stattgefunden«, widersprach Harper. Über die starken Gefühle, die sein Gesicht zerfurchten, legte sich Erstaunen.
»Es gibt keine Anzeichen für einen Kampf, meine Herren.« Jess zeigte auf das umgekippte Glas. »Wells hat gefrühstückt, als sie einen Anruf erhielt, der sie erschreckte.« Sie wies auf den Hocker am Boden. »Den hat sie umgeworfen, als sie sich ihre Tasche und die Schlüssel geschnappt hat.« Auch zwanghaft pedantische Menschen ließen ihre Schlüssel auf die Ablage fallen, die der Tür am nächsten war. »Wer immer der Anrufer war, er hat sie durcheinandergebracht. Ihr regelrecht Angst gemacht. Detective Wells hatte es eilig. Deswegen hat sie sich nicht vergewissert, ob die Tür auch wirklich zu war. Deswegen haben wir ihr Handy nicht gefunden. Sie hat es mitgenommen, als sie mit ihrem Mustang weggefahren ist.«
»Ich habe ihre Mutter und ihre Schwester angerufen«, wandte Harper ein, offensichtlich verwirrt. »Es ging niemand dran. Wahrscheinlich sind sie schon bei der Arbeit. Ihre Mutter ist –«
»Wohnen ihre Schwester und ihre Mutter zusammen?« Auf einmal glaubte Jess zu wissen, was sich abgespielt hatte.
»Ja, Ma’am.«
»Schicken Sie eine Einheit dorthin.« Eine neue Angst schnürte ihr die Luft ab. »Sofort.« Die Gefühle, die sie gehofft hatte, in Schach halten zu können, überrollten sie.
Lori Wells hatte ihre Wohnung Hals über Kopf verlassen, ohne sich zu vergewissern, ob die Haustür sicher verschlossen war. Etwas hatte sie zu Tode erschreckt. Das ursprünglichste aller menschlichen Gefühle war der Schutzinstinkt. Wenn ein geliebter Mensch in Gefahr schwebte, war alle Vernunft vergessen.
Burnett machte den Anruf.
Jess wandte sich an Harper. »Wir müssen auf dem schnellsten Wege dorthin.«
Wenn sie richtig lag, und Jess hatte das ungute Gefühl, dass es so war, dann hatten sie es mit drei Opfern zu tun statt mit einem.
Overton Heights, 11:38 Uhr
Wie Jess vorhergesehen hatte, stand Lori Wells’ roter Mustang in der Einfahrt neben dem grauen Impala, der ihrer Mutter gehörte. Vom Beifahrersitz von Burnetts SUV aus musterte Jess durch die getönte Scheibe Haus und Vorgarten. Das Halbgeschosshaus war aus den Siebzigern, teils brauner Backstein, teils beige Verkleidung. Es lag auf der Hangseite der Straße, die Einfahrt führte steil bergan und verschwand in der angebauten Garage. Nichts rührte sich. Alles wirkte ganz normal.
Doch drinnen sah es möglicherweise ganz anders aus. Sie wollte da rein. Ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, während sie hier saß und darauf wartete, dass das Zugriffsteam seine Arbeit erledigte.
Und wenn sie drin waren … und die Familie Wells ermordet worden war …
Erneut stieg Panik in ihr auf, und sie verzog gequält das Gesicht. Das Verlangen, auf der Stelle ihre Schwester anzurufen, um ihre Stimme zu hören, war so groß, dass ihr die Brust eng wurde. Lily und ihre Familie waren zu Hause und in Sicherheit, unter Polizeischutz. Wenn es Probleme gab, würde Jess es sofort erfahren. Denn man würde Burnett unverzüglich anrufen.
Das Schicksal hatte anscheinend ihre Gedanken gehört und wollte die Spannung noch etwas steigern, denn Burnett, der hinterm Steuer saß, verlagerte das Gewicht und griff nach seinem Handy. Das drückende Band um ihre Brust zog sich enger. Warum stellte er das verdammte Ding ständig auf Vibration? Eine kleine Vorwarnung wäre nett gewesen.
»Besitzt die Schwester ein Auto?«, fragte Jess Harper, während Burnett leise mit dem Anrufer sprach. Mit ihren achtzehn Jahren hatte Terri Wells, Loris jüngere Schwester, sicher entweder einen eigenen Wagen oder nutzte den ihrer Mutter mit.
»Das ist in der Werkstatt, Ma’am«, sagte Harper vom Rücksitz. »Terri fährt einen blauen Cobalt. Lori – Detective Wells hat mir gesagt, dass er in der Werkstatt ist.«
Lori verschwunden … ihre Familie möglicherweise tot – verdammt, Jess sollte da drinnen sein! Was zur Hölle dauerte bloß so lange?
Verfluchter Eric Spears und seine Spielchen!
Er war hier, in Birmingham. Daran gab es keinen Zweifel mehr. Nicht nur Helfershelfer, sondern das Monster selbst … der
Spieler
. Das Paket, das heute Morgen geliefert worden war, reichte ihr als Beweis.
Er hatte Lori entführt und Jess per Eilsendung ihre Polizeimarke
Weitere Kostenlose Bücher