Die Spur des Verraeters
tragbares Pult und ergriff die Flucht. Hirata und die beiden Gefolgsleute standen lauernd den Verbrechern gegenüber. Einer von ihnen schleuderte plötzlich ein Messer. Der Mann links neben Hirata schrie auf und stürzte tot zu Boden, die Klinge in der Brust.
»Lasst die Verbrecher laufen!« Wenngleich Sano am liebsten sämtliche Schurken verhaftet hätte, die an dem Schmuggelgeschäft beteiligt waren, konnte seine kleine Truppe doch nicht mit allen zugleich fertig werden. »Ergreift Iishino, Liu Yun und deGraeff!«
Nirin sprang vor. Sein Schwert blitzte auf. »Jetzt werdet Ihr dafür bezahlen, dass Ihr mich in den Brunnen geworfen habt.«
Während um ihn herum ein Wirbelsturm flirrender Schwertklingen losbrach, parierte Sano die Hiebe und Stiche Nirins. Bei einem Gegenangriff hätte er beinahe den Schwertarm des Hauptmanns aufgeschlitzt. Er duckte sich unter einem Schlag weg, der auf seinen Kopf gezielt war; dann wirbelte er gerade rechtzeitig herum, um die Hiebe zweier Wachen von Deshima abzuwehren. Takeda und seine Gefolgsleute kämpften gegen die zehn anderen Wachsoldaten. Aus Sanos innerstem Kern strömten frische Kräfte in seinen Körper, schärften seine Wahrnehmungsfähigkeit und vergrößerten sein Gesichtsfeld. Als er Nirin attackierte und zurücktrieb, um Takeda zu Hilfe zu eilen, sah er, wie Abt Liu Yun und der Holländer sich drohend gegenüberstanden. Der Abt hielt einen Dolch in der Faust, der unter dem Ärmel seines Umhangs versteckt gewesen war.
»Euer Partner hat meinen Bruder getötet!«, rief der Chinese und stach nach deGraeff. Liu Yun hatte offenbar nur auf den richtigen Augenblick für einen Angriff gewartet, und die Gefahr, von Sano oder dessen Gefährten getötet zu werden, trieb ihn nur zur Eile. »Jetzt werdet Ihr Euch im Tod mit Jan Spaen vereinen. Die Ordnung aller Dinge wird wiederhergestellt – das I Ching lügt niemals. Endlich kann ich meine Rache an Euch verderbtem holländischem Söldner üben!«
Von Abt Liu Yun verfolgt, der Flüche auf Chinesisch kreischte, flüchtete der verängstigte Barbar durch die Halle.
Mit einem blitzschnellen Schnitt durchtrennte Sano einem der Wachsoldaten die Kehle. Tot stürzte der Mann neben einem anderen Wächter zu Boden, den Takeda erschlagen hatte. Sano sprang über die beiden Toten hinweg und setzte den Kampf gegen Nirin und drei andere Wachsoldaten fort. Einer der Gefolgsleute Takedas spaltete einem Soldaten den Schädel und schlitzte einem anderen den Leib auf, bevor er selbst einen tödlichen Stich in die Brust abbekam. Der oberste Richter erwies sich als erfahrener und geschickter Schwertkämpfer, doch seine Kleidung hing in Fetzen, und aus Schnittwunden lief ihm Blut über die nackten Beine. Sano spürte, wie seine Kräfte allmählich nachließen; seine Reflexe wurden langsamer, und die Schulterwunde war wieder aufgerissen und blutete. Er zog sein Kurzschwert und kämpfte beidhändig, um die Schläge der Angreifer besser parieren zu können und seine Schulter weniger stark zu belasten.
Abt Liu Yun hatte deGraeff derweil vor dem Altar in die Enge getrieben und kreischte: »Stirb! Stirb!« Als er nach dem Holländer stach, riss dieser in einer abwehrenden Geste beide Hände empor. Die Dolchklinge schlitzte deGraeffs Handflächen auf und drang ihm in die Brust. Der Holländer schrie auf und stürzte zu Boden. Hirata eilte herbei und versuchte, Liu Yun davonzuzerren, doch der Abt sprang auf den liegenden deGraeff und stach immer wieder mit dem Dolch zu. Dann bekam der blutüberströmte deGraeff die Waffe zu fassen, und zwischen dem Chinesen und seinem viel größeren Gegner kam es zu einem verbissenen Kampf um den Dolch. Holländische und chinesische Flüche erfüllten die Halle.
Sano tauchte unter dem Schwerthieb eines Wachsoldaten hinweg, schwang die eigene Klinge in einem Bogen und schlug dem Gegner beide Beine ab. Dann sprang er auf. Er sah, wie deGraeff trotz seiner Wunden allmählich die Oberhand gewann, Abt Liu Yun den Dolch entriss und nun seinerseits zustach. Diesmal war es Liu Yun, der grelle Schmerzensschreie ausstieß. In diesem Augenblick griffen zwei weitere Wachsoldaten Sano an. Der geriet ins Wanken, als eine Schwertklinge ihm den Oberschenkel aufschlitzte. Seine beiden Widersacher drangen noch entschlossener auf ihn ein und hoben die Schwerter, um ihm den Todesstoß zu versetzen.
Plötzlich tauchte eine wendige, flinke Gestalt hinter den beiden Wachsoldaten auf. Beide stießen dumpfe Schreie aus; ihre Gesichter wurden
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