Der Kaffeehaendler - Roman
1
Dicker als Wasser oder Wein kräuselte sich die Flüssigkeit in der Schale, dunkel und heiß und wenig einladend. Miguel Lienzo beugte sich so weit darüber, dass er fast seine Nase in das teerige Gebräu tauchte. Während er das Gefäß einen Moment lang still hielt, atmete er ein und sog den Duft tief in seine Lungen. Der scharfe Geruch nach Erde und modernden Blättern überraschte ihn, er erinnerte ihn an einen Apothekerladen.
»Was ist das?«, fragte Miguel ungeduldig und schob mit dem Nagel des einen Daumens die Haut des anderen zurück. Sie wusste, dass er keine Zeit zu vergeuden hatte, warum also hatte sie ihn dieses Unsinns wegen hierher gebracht? Eine bittere Bemerkung nach der anderen wallte in ihm auf, doch Miguel ließ keiner von ihnen freien Lauf. Es war nicht so, dass er Angst vor ihr hatte, aber er stellte oft fest, dass er sich große Mühe gab, kein Missfallen bei ihr zu erregen.
Er schaute zu Geertruid hinüber und sah, dass sie seiner gedankenverlorenen Daumenverstümmelung mit einem Grinsen begegnete. Er kannte dieses unwiderstehliche Lächeln und wusste, was es bedeutete: Sie war höchst zufrieden mit sich selbst, und wenn sie eine solche Miene aufsetzte, war es schwer für Miguel, nicht auch höchst zufrieden mit ihr zu sein.
»Es ist etwas ganz Außergewöhnliches«, sagte sie, auf seine Schale deutend. »Trinken Sie.«
»Trinken?«, Miguel blinzelte in das Dunkel. »Es sieht aus wie Teufelspisse, die gewiss außergewöhnlich schmeckt, aber ich habe kein Verlangen, sie zu kosten.«
Geertruid beugte sich zu ihm und streifte fast seinen Arm. »Nehmen Sie einen Schluck, und ich erzähle Ihnen alles. Diese Teufelspisse wird uns beiden ein Vermögen einbringen.«
Vor knapp einer Stunde war es gewesen, als Miguel spürte, wie jemand ihn am Arm packte.
Noch ehe er den Kopf wandte, hakte er in Gedanken die unangenehmen Möglichkeiten ab: ein Konkurrent oder Gläubiger, eine verlassene Geliebte oder deren zorniger Verwandter, der Däne, dem er jene baltischen Getreideterminkontrakte mit einer übertrieben enthusiastischen Empfehlung verkauft hatte. Vor nicht allzu langer Zeit war die Annäherung eines Fremden verheißungsvoll gewesen. Händler und Spekulanten und Frauen, sie alle hatten Miguels Gesellschaft gesucht, ihn um Rat gebeten, nach seiner Freundschaft verlangt, um seine Gulden gefeilscht. Inzwischen wollte er nur noch wissen, in welcher neuen Form sich das Verhängnis offenbarte.
Es wäre ihm nie eingefallen, stehen zu bleiben. Er war Teil der Prozession, die sich jeden Tag bildete, wenn die Glocken der Nieuwe Kerk zwei Uhr schlugen und damit das Ende des Handels an der Börse einläuteten. Hunderte von Maklern strömten hinaus auf den Dam, den prächtigen Platz im Zentrum von Amsterdam. Sie verstreuten sich über die Gassen und Straßen und Kanalufer. An der Warmoesstraat, der kürzesten Strecke zu den beliebtesten Schenken, traten die Ladeninhaber mit breitkrempigen Lederhüten, die sie vor dem Schwall der Feuchtigkeit von der Nordsee schützen sollten, ins Freie. Sie stellten Säcke mit Gewürzen auf die Straße, Leinenballen, Fässer voller Tabak. Schneider und Schuster und Hutmacherinnen winkten die Männer nach drinnen; Verkäufer priesen
Bücher und Federhalter und exotische Kinkerlitzchen lautstark an.
Die Warmoesstraat wurde zu einem Strom aus schwarzen Hüten und schwarzen Anzügen mit Einsprengseln von weißen Kragen, Ärmeln und Strümpfen oder von hell aufblitzenden silbernen Schuhschnallen. Händler schoben Waren aus dem Orient oder der Neuen Welt vorbei, aus Orten, von denen vor hundert Jahren noch niemand etwas gehört hatte. Ausgelassen wie Schuljungen nach dem Unterricht redeten die Kaufleute in einem Dutzend verschiedener Sprachen über ihre Geschäfte. Sie lachten und schrien und gestikulierten; sie griffen nach allem, was jung und weiblich war und ihnen in die Quere kam. Sie holten ihre Geldbeutel hervor und verschlangen die Delikatessen der Ladeninhaber, nichts war zu teuer.
Miguel Lienzo lachte weder, noch bewunderte er die vor ihm ausgebreiteten Angebote; er zwickte auch keine willigen Ladenmädchen in ihre Weichteile. Er schritt schweigend dahin, den Kopf gesenkt wegen des leichten Regens. Heute war der dreizehnte Tag des Mai 1659 auf dem christlichen Kalender. Die Schlussabrechnung an der Börse fand jeden Monat am zwanzigsten statt; mochte ein Mann manövrieren, wie er wollte, nichts davon zählte bis zum zwanzigsten, wenn die Guthaben und
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