Die Spur des Verraeters
schlaff, und sie kippten nach vorn. Beiden Toten strömte Blut aus Wunden im Genick. Über ihnen stand Hirata, das triefende Schwert erhoben.
»Liu Yun und der Barbar haben sich gegenseitig getötet«, sagte er zu Sano. »Ergreift Iishino! Ich werde dem Richter und seinen Leuten helfen.«
Er eilte zum obersten Richter Takeda und den zwei Gefolgsleuten, die ihm geblieben waren, und half ihnen beim Kampf gegen Nirin und sieben Wachsoldaten, die überlebt hatten. Sano zögerte, wollte seine Verbündeten nicht allein lassen. Dann warf er einen raschen Blick in die Runde. Dolmetscher Iishino war nirgends zu sehen. Sano stürmte durch die Halle, an riesigen düsteren Statuen und schimmernden Wandgemälden vorüber. Er befürchtete, der Anführer des Schmugglerringes könnte in dem allgemeinen Durcheinander entkommen sein. Dann aber entdeckte er Iishino.
In einer Nische unweit des Altars kauerte der Dolmetscher unter einem Bogen aus geschnitzten, vergoldeten Flammen. Vor ihm stand sein tragbares Schreibpult. Offenbar hatte er mit einem Sieg seiner Kumpane gerechnet und sich diesen vermeintlich sicheren Platz ausgesucht, um die Vernichtung Sanos und der anderen zu beobachten. Als er Sano nun erblickte, wurde er bleich. Er nahm sein Schreibpult und drückte sich tiefer in die Nische hinein.
»Es ist nicht so, wie Ihr glaubt, sôsakan-sama «, sagte er und versuchte zu grinsen, doch es wurde nur eine Grimasse daraus. »Ich kann alles erklären. Alles.«
Sano blieb vor diesem verabscheuungswürdigen Mann stehen, der ihm die Schuld für seine eigenen Verbrechen zugeschoben hatte und es nun feige seinen Helfershelfern überließ, sich mit Sanos Gefährten zu schlagen.
»Kommt her, Iishino«, sagte Sano. »Keine Angst, ich töte Euch nicht. Aber es wird mir ein Vergnügen sein, Eure Hinrichtung zu erleben.«
Iishino hob die Hände. »Wartet. Wartet. Ich gehöre nicht zu diesen Verbrechern.« Seine Blicke huschten mit ängstlichem, verschlagenem Ausdruck umher. »Ich … ich habe die Schmugglerbande entdeckt und mich bei ihr eingeschlichen, um zu erfahren, wer alles dazu gehört. Ich wollte mich gerade auf den Weg machen, die Verbrecher den Behörden melden und dafür sorgen, dass Ihr und Eure Leute gerettet werden.« Auf seine typische Weise wackelte Iishino mit dem Kopf und lächelte. »Das ist die Wahrheit. Ich schwöre es!«
»Er … lügt.«
Das heisere Krächzen stammte von Abt Liu Yun, der neben dem Altar lag. Das Blut aus den Stichwunden hatte seinen safrangelben Umhang an Brustkorb und Unterbauch scharlachrot gefärbt. Sein Gesicht war eine Maske des Schmerzes. Dicht neben ihm lag Vizedirektor deGraeff tot am Boden, den Dolch noch in der starren Hand. Liu Yun hustete und keuchte; dann fuhr er fort:
»Iishino … hat mit den Schmuggeleien angefangen … hat mich bezahlt, die Lichtapparaturen anzufertigen … und die Verbindungen … zum Schwarzmarkt herzustellen. Und er hat … Direktor Spaen getötet … Ich habe es gesehen. Er hat mir … meine Rache gestohlen. Aber das I Ching hatte Recht. Ich habe den Abgrund überwunden … und den Gefährten jenes Holländers getötet, der meinen Bruder … ermordet hat. Jetzt kann ich … in Frieden sterben. Hsi! Ich komme zu dir …«
Sein Gesicht entspannte sich, und das Licht in seinen Augen erlosch. Sano staunte über so viel Rachedurst, den weder die Zeit, der Glaube noch die Vernunft hatten stillen können. Dann schaute er wieder auf Iishino – und starrte in die Mündung einer Pistole, die der Dolmetscher auf ihn richtete.
»Geht! Bleibt mir vom Leib! Lasst mich in Ruhe!«, stieß Iishino mit bebender Stimme hervor.
Die Waffe mit dem geschnitzten Griff aus Elfenbein und dem langen Lauf schwankte in der zittrigen Hand des Dolmetschers. Sano hatte instinktiv seine Schwerter erhoben, um einen Angriff abzuwehren. Voller Genugtuung hatte er endlich den Namen des Mörders von Jan Spaen erfahren – nun aber lähmte ihn eisige Furcht. Seine Lungen schienen plötzlich aus Eisen und nicht mehr imstande zu sein, Luft ein- oder auszuatmen. Noch nie war Sano mit einer Feuerwaffe bedroht worden, und sein gesamtes Wissen über Pistolen und Gewehre hatte er aus Büchern. Nun aber erkannte er die wahre Macht dieser fremdländischen Waffen. Bei einem Schwertkampf wäre Iishino kein Gegner für ihn gewesen; jetzt aber verlieh die Pistole dem schwächeren Mann Überlegenheit.
»Lasst die Schwerter fallen!«, befahl Iishino.
Der Deckel seines tragbaren Schreibpults war geöffnet;
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