Die Spur des Verraeters
und die Kälte ließen seine Wunden wie Feuer brennen. Rasch nahm Sano den Hut ab, zog den Umhang aus und stopfte beides zwischen den Pfeiler und einen diagonalen Stützbalken. Dann holte er tief Luft und tauchte unter der Anlegestelle hindurch zu jenem Pfeiler, an dem das Boot anlegen würde, das sich von Deshima näherte.
Das Wasser war dermaßen trüb, dass Sano kaum etwas sehen konnte. Abfälle trieben an ihm vorüber. Seine Kleidung und die Ausrüstung behinderten ihn in seiner Beweglichkeit. Die Schulterwunde und die Verbrennungen schmerzten bei jedem Armzug und jedem Tritt mit den Beinen. Seine Lungen schrien nach Luft. Als Sano schon glaubte, die Atemnot würde ihm die Brust zersprengen, berührten seine Finger das von Algen bewachsene, schleimige Holz. Er umfasste den Pfeiler, hob vorsichtig den Kopf aus dem Wasser und holte keuchend Atem.
Das Wachboot legte längsseits am Pier an, genau vor dem Pfeiler. Sano hätte nur den Arm auszustrecken brauchen, um es zu berühren. Einer der beiden Männer lenkte das Boot mit vorsichtigen Ruderschlägen, bis sein Kamerad es am Pfeiler vertäute. Beide Männer waren mit Arkebusen bewaffnet. Vor Kälte schaudernd, beobachtete Sano, wie die Soldaten oben auf dem Steg ihren beiden Kameraden aus dem Boot halfen. Dann stiegen die beiden Männer der Ablösung an Bord. Rasch tauchte Sano und schwamm bis unter das Boot, wobei ihn beinahe die Ruder getroffen hätten, als die Männer sie ins Wasser senkten. Das Seil wurde losgemacht, der nach oben geschwungene Bug schwenkte in Richtung Deshima, und das Boot setzte sich in Bewegung. Noch immer unter Wasser, drehte Sano sich auf den Rücken und trat heftig mit den Beinen, um die Geschwindigkeit zu halten. Das Boot war schnell, sehr schnell. Wieder schrien Sanos Lungen nach Luft; er war nahe daran, zur Seite zu schwimmen und aufzutauchen. Doch seine Entschlossenheit war stärker. Im letzten Moment gelangte er unter dem Rumpf hindurch bis nach vorn zum Bug, grub die Nägel ins raue Holz und hielt sich fest, hob das Gesicht aus dem Wasser und holte prustend und spuckend Luft, während das Boot Geschwindigkeit aufnahm.
»Hast du das gehört? Irgendetwas hat das Boot getroffen«, vernahm Sano die Stimme des Ruderers, der vorn im Boot saß.
»Wahrscheinlich irgendwelcher Abfall«, meinte der andere Mann und ruderte weiter. »Müll aus dem Hafenbecken. Gestern habe ich vier zerbrochene Fässer gesehen, einen toten Hund, ein altes Fischernetz und …«
Während der Mann weitererzählte, kämpfte Sano verzweifelt, nicht den Halt zu verlieren. Immer wieder schluckte er Wasser, keuchte, spuckte. Er drehte den Kopf und sah zu seiner Erleichterung, dass sie sich nun rasch der Küste Deshimas näherten. Zwei weitere Patrouillenboote trieben in der Nähe; die Männer an Bord blickten in Richtung Hafen. Bevor Sano in ihr Sichtfeld geriet, holte er tief Luft, ließ den Bug des Bootes los und tauchte unter Wasser. Als das Boot über ihn hinwegglitt, ergriff er das Heckruder und ließ sich das letzte Stück mitziehen.
Das Boot hielt vor der Nordwestküste der Insel. Vorsichtig hob Sano den Kopf aus dem Wasser und sah, dass die beiden Männer an Bord nach vorn schauten und den holländischen Segler beobachteten. Nur das Plätschern der Wellen und das ferne Dröhnen der Kriegstrommeln waren zu vernehmen. Sano stieß sich vorsichtig vom Boot ab, tauchte und schwamm unter Wasser davon, bis er erschöpft und außer Atem die Küste der Insel erreichte. Hoch ragte der äußere Palisadenzaun über ihm auf. Eilig band er das Seil los, das er sich um die Hüfte geschlungen hatte, wobei er die Männer im Boot beobachtete, die, nur zwanzig Schritt von ihm entfernt, noch immer das holländische Segelschiff im Auge behielten. Sano fragte sich, wie viel Zeit ihm blieb, bis einer der beiden zufällig einen Blick in seine Richtung warf.
Langsam und vorsichtig schob er sich halb aus dem Wasser auf das felsige Fundament des Palisadenzauns; dann drückte er ein Ohr an einen der Pfähle. Er hörte Schritte auf der anderen Seite des Zaunes. Jemand kam näher, ging vorüber und entfernte sich; offenbar ein Wachsoldat, der die Insel umrundete. Sano verlor keine Zeit. Er schleuderte den eisernen Haken am Ende des Seils in die Höhe. Mit einem dumpfen Pochen prallte er gegen das Holz; dann fiel er klappernd in die Tiefe und landete klirrend auf den Felsen. Sano fluchte lautlos und warf einen gehetzten Blick zu den beiden Wachsoldaten – die unbeweglich im Boot saßen
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