Die Staatsanwältin - Thriller
respektierten ihn zumindest. Aber er steckte auch auf dem dritten Platz eines Rennens von fünf Kandidaten fest, und es waren nur noch vier Monate bis zu den innerparteilichen Vorwahlen.
Der führende Kandidat war der leitende Assistent des momentanen Generalstaatsanwalts, ein Mann namens Andrew Thornton. Im Gegensatz zu Masterson war Thornton dünn, belesen und todernst. Ich hatte ihn schon zweimal vor dem Berufungsgericht von Georgia gegen Antoine Marshalls Revisionen argumentieren sehen, hatte ihn telefonisch aber noch nie erreichen können. Er ließ jüngere Mitarbeiter der Generalstaatsanwaltschaft sich um lästige Opfer wie mich kümmern.
Gegen Ende der Debatte stellte der Moderator eine Frage zur Todesstrafe, und Masterson stürzte sich darauf. »Ich werde mich nie dafür entschuldigen, dass ich die Todesstrafe für diejenigen Mitglieder unserer Gesellschaft fordere, die kaltschnäuzige Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben anderer zeigen. Es wird viel über die Rechte der Angeklagten gesprochen, aber ich kann Ihnen eines sagen …« Masterson machte eine effektvolle Pause, um sich die volle Aufmerksamkeit aller zu sichern. »In jedem Fall, in dem ich die Todesstrafe gefordert habe, hat das Opfer weit mehr erlitten als jeder Angeklagte, der vom Staat hingerichtet wurde. Ich könnte Ihnen ein paar grausame Geschichten erzählen, wie diese Opfer gefoltert, vergewaltigt und getötet wurden. Und im Gegensatz zu den Angeklagten hatten die Opfer keine Wahl.«
Es folgte vereinzelter Applaus von den Erzkonservativen, die zu der Debatte aufgetaucht waren. Ich fand das Ganze ein bisschen peinlich.
»Mein größtes Problem mit der Todesstrafe: Wir lassen zu, dass sich diese Fälle über Jahre hinziehen und die Steuerzahler Millionen kosten«, fuhr Masterson fort. »Im Publikum sitzt heute Abend eine meiner Mitarbeiterinnen, Jamie Brock.«
Ich fühlte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg, und ich wusste, was als Nächstes kam. Ich hasste es, die Opferkarte auszuspielen, und ich hasste es, wenn andere das für mich taten.
»Wie viele von Ihnen wissen, wurde ihre Mutter vor mehr als zehn Jahren von einem dreimaligen Straftäter namens Antoine Marshall getötet. Er sitzt immer noch im Todestrakt und geht gegen alles und jeden vor, der in den Prozess verwickelt ist, obwohl Jamies Vater, den dieser Mann ebenfalls anschoss, überlebte und ihn im Prozess eindeutig identifizierte. Deshalb ist Jamie heute Staatsanwältin.«
Masterson deutete im Publikum auf mich. »Jamie, würden Sie bitte kurz aufstehen?«
Ich warf ihm einen raschen Blick zu, um ihm zu verstehen zu geben, dass mir das gar nicht passte, dann stand ich auf und zwang mich zu einem Lächeln. Die Menge applaudierte höflich.
»Für mich ist Staatsanwalt zu sein nicht nur ein Job«, sagte Masterson. »Mir geht es genauso wie Jamie – unser Beruf ist unsere Berufung. Opfer haben Rechte, und sie haben ein Recht auf Gerechtigkeit.«
Als die Debatte vorüber war und Masterson jeden umgarnt hatte, der noch auf ihn zugekommen war, umarmte er mich. »Ich hoffe, ich habe Sie nicht in eine peinliche Situation gebracht«, sagte er.
»Doch, das haben Sie«, antwortete ich. »Aber Sie können es wiedergutmachen. Wir müssen reden.«
Masterson hob eine Augenbraue. »Kann das nicht bis morgen warten?«
»Es dauert nur fünf Minuten.«
Er grunzte zustimmend und beschloss dann, unser Gespräch wenigstens bei Kaffee und Eiscreme hinter sich zu bringen. Fünfzehn Minuten später saßen wir in einer »Applebee's«-Filiale, und Masterson ging die Debatte noch einmal durch und fragte mich nach meiner Meinung. Als sein Eis endlich kam, hatte er zwei Fragen. »Sind Sie sicher, dass Sie keines wollen?«
»Nein, danke.« Ich blieb bei meinem Kaffee.
»Worüber wollen Sie mit mir reden?«
»Rikki Tate.«
»Dann reden Sie.« Er nahm einen Löffel Eis.
Ich hatte meine Verhandlungsstrategie genau durchdacht. Ich wollte an dem Tate-Fall arbeiten. Ich sah Mastersons Einwand voraus, ich sei zu beschäftigt. Ich würde ihm antworten, dass ich Überstunden machen und meine anderen Fälle trotzdem erledigen würde. Dann würde er erwidern, ich hätte nicht genug Erfahrung für einen solchen Fall, und ich würde ihm anbieten, den Posten als zweite verfahrensführende Anwältin zu übernehmen. Er würde behaupten, ich sei zu sehr emotional involviert, und ich würde seine Rede von diesem Abend zitieren, als er gesagt hatte, als Staatsanwälte sollten wir in jedem Fall persönlich
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