Dancing Jax - 01 - Auftakt
1
Jenseits der Silbernen See, umgeben von dreizehn grünen Bergen, liegt das wundersame Königreich des Prinzen der Dämmerung. Und doch steht der Thron im Weißen Schloss verlassen. Seit vielen langen Jahren schon ist der Prinz im Exil verschollen und so regiert der Ismus, der Heilige Magus, an seiner statt – bis zu dem Tage, da der Prinz glorreich wiederkehren und seine Herrlichkeit auf Ewigkeit erstrahlen wird.
Die Tür erzitterte. Nach einem weiteren gewaltigen Tritt fiel das Schloss aus dem maroden Rahmen.
Unter der brutalen Wucht zerbarst er. Splitter und abgeblätterte Farbreste wurden in die gigantische, verlassene Eingangshalle gespuckt und eine trockene Wolke aus jahrzehntealtem Staub wallte auf. Zum ersten Mal seit viel zu langer Zeit fiel grelles Tageslicht ins Innere und zahllose Insekten flüchteten geräuschvoll über die blanken und ausgetretenen Dielen.
Ein Paar habgierige Augen ließ den Blick durch das leere Haus wandern, während ihr Besitzer über die Türschwelle lugte. »Ein Prachtstück!«
Während Jezza sich mit dem Rücken einer schmutzigen Hand über den Mund fuhr, trat er ins Haus, wo ihn der glitzernde Staub einhüllte. »Schimmel und Rattenpisse.«
Er meinte damit den feuchten Geruch in dem Gebäude, aber die Beschreibung hätte ebenso gut auf ihn selbst zutreffen können.
Jezza war eine drahtige Bohnenstange von einem Mann, gekleidet in abgewetzte Lederjeans und eine zerschlissene Motorradjacke, die vor ihm schon drei andere Besitzer im Laufe von beinahe ebenso viel Jahrzehnten gekannt hatte, bevor sie sich zu ihm gesellte. Ihm gefiel es, dass sie eine Geschichte hatte, und er behauptete oft genug, dass die Jacke viel mehr ihn besaß als andersherum.
In seinem Gesicht lag ein Ausdruck von ständiger Wachsamkeit, als wäre er ununterbrochen auf der Hut – animalisch, verdreckt und feindselig war diese Miene. Die Haut darüber war weiß, käsig und schlecht genährt – solange andere Dinge greifbar waren, war Essen für Jezza eher Nebensache.
Selbst jetzt zuckten und zitterten seine Nikotinfinger, dabei war es erst halb elf Uhr morgens. Bisher hatte er nur eine Flasche von diesem Jamaikabier, Red Stripe, getrunken, was daran lag, dass er die letzte der gestohlenen Wodkaflaschen vergangene Nacht geleert hatte.
Hinter ihm meldete sich eine weibliche Stimme zu Wort: »Hat es sich also gelohnt, dass wir unser letztes Benzin geopfert haben?«
Wie eine diebische Elster begutachtete Jezza die schäbige gemusterte Tapete, die die Treppe entlang bis hinauf zum ersten Absatz verlief. Hier und da prangte hässlicher schwarzer Schimmel darauf. Das Haus war riesig und musste in seiner Glanzzeit, so im 19. Jahrhundert, einmal äußerst beeindruckend gewesen sein. Aber jetzt, nach all den Jahren, in denen es vernachlässigt worden war, war es düster und heruntergekommen. Trotzdem war dem Mann klar, dass es hier einiges zu holen gab.
Jezza war wild entschlossen, das Haus auszuweiden und sich ein paar Pfund zu verdienen. In Southwold gab es einen Typ, der für den ganzen alten Plunder bar auf die Hand zahlen würde, ohne Fragen zu stellen. Echte alte Kamine waren verdammt viel Geld wert. Und falls die sich schon jemand unter den Nagel gerissen hatte, gab es sicher noch Kupferrohre, Wasserhähne und Türen. Die meisten Fenster hatte man vernagelt und die übrigen waren eingeschmissen, was das anging, gab es also nichts mehr abzugreifen. Jezzas widerlicher Blick glitt über das Geländer – ja, sogar das wäre was.
Hinter ihm drängte sich Shiela ins Haus. Sie war nicht älter als zwanzig, aber der Umgang mit Jezza und den anderen hatte die Blüte ihrer Jugend aufgezehrt, was man ihr deutlich ansah. Das Wasserstoffblond war schon lange aus ihrem dunklen Haar herausgewachsen, nur an den Spitzen war ein dumpfes Gelb zurückgeblieben. An ihrer linken Schläfe wucherte eine blaue Haarsträhne – ihre letzte Bemühung um eine Art Frisur –, aber auch die war ausgebleicht.
»Hab dir ja gesagt, dass es ein riesiger alter Kasten ist«, sagte sie. »Das Ding wird uns monatelang über Wasser halten, ganz sicher!«
Jezza zuckte mit den schmalen Schultern. »Kommt ganz drauf an, was noch übrig ist«, gab er zurück und stolzierte durch die immens große Eingangshalle auf eine aufgequollene Tür zu. Einen Augenblick blieb er stehen, um gierig mit einem schmutzigen Finger über den angelaufenen Messingknauf zu fahren, während ihm der säuerliche Gedanke durch den Kopf ging, dass dieser Griff
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