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Die Staatskanzlei - Kriminalroman

Die Staatskanzlei - Kriminalroman

Titel: Die Staatskanzlei - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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gelassen. Stollis Vermutung, dass Milner für Mahows Tod verantwortlich war, war nicht von der Hand zu weisen. Und falls es so war, war nicht auszuschließen, dass Milner zuvor Mahow auf Ministerialrätin Britta König angesetzt hatte. Hatte nicht der Zufall die beiden zusammengeführt, sondern war es Kalkül gewesen? Merkwürdig war es schon, dass die Ministerialbeamtin unmittelbar nach ihrem Gespräch mit Milner zum Krüppel geschlagen worden war.
    Und auch die Akte Baumgart hatte sie nicht aus Überzeugung geschlossen, sondern weil es verlangt worden war. Sie hätte gerne Antworten auf ihre Fragen gehabt. Es ärgerte sie, dass sie diese Antworten vermutlich niemals bekommen würde.
    Jetzt, am frühen Nachmittag des Heiligabends, saß sie im Auto. Auch für sie hatten die Weihnachtsfeiertage endlich begonnen. Die Autobahn war ungewöhnlich leer und sie brauchte weniger als zwei Stunden bis zur elterlichen Wohnung in der Osnabrücker Altstadt.
    Als sie in die Bierstraße einbog, überkam sie ein Gefühl der Wehmut. Sie liebte diese anheimelnde Straße und das alte Fachwerkhaus, in dem sie ihre Kindheit und Jugend verbracht hatte. In den schmalen Gassen der Altstadt hatten sie als Kinder Verstecken gespielt, unweit des Doms war sie zum ersten Mal von einem Jungen aus der Parallelklasse geküsst worden. Auch wenn sie schon viele Jahre in Hannover lebte, hatte sie die als Bischofssitz von Karl dem Großen gegründete Stadt stets als ihre Heimat empfunden. Mit dem anstehenden Verkauf der elterlichen Eigentumswohnung würde sie ihre Heimat verlieren. Der Gedanke stimmte sie traurig.
    Ihre Mutter stand in der Küche, vor sich einen Topf mit geschälten Kartoffeln. Sie schien nicht besonders froh, ihre Tochter zu sehen. Ihr Gesicht war sorgenvoll und in ihren Augen stand Verzweiflung. „Ich wollte Kartoffelsalat machen, den essen wir doch Heiligabend immer. Ich weiß nicht mehr, wie man den macht.“
    Wie unbarmherzig das Schicksal zuschlug, indem es eine ehemals intelligente, unternehmungslustige Frau zu einem geistigen Krüppel machte. Verena nahm ihre Mutter in ihre Arme, drückte sie fest an sich. „Zerbrich dir darüber nicht den Kopf, Mama, ich mach das schon. Leg dich noch ein bisschen hin, ich weck dich dann.“
    Während Verena die Kartoffeln kochen ließ und die Sauce zubereitete, ging ihr durch den Kopf, dass dies unwiderruflich das letzte Weihnachtsfest in dem Haus sein würde, das seit Kindestagen ihr Zuhause gewesen war. Es führte kein Weg daran vorbei, die Entscheidung ließ sich nicht länger hinausschieben. Ihre Mutter gehörte in ein Pflegeheim. Die Rente würde nicht reichen, um die Kosten zu decken. Der Verkauf der elterlichen Eigentumswohnung war unabwendbar.
    Was das nächste Jahr wohl sonst noch für sie bereithalten würde? Das Gesicht von Jürgen Ritter erschien vor ihren Augen. Würden sie sich trotz der anfänglichen Schwierigkeiten näher kommen? Sie wünschte es sich mehr als alles andere.
    Ihr Job im LKA machte ihr Spaß, doch mit einem Mordfall, der sie mitten ins Zentrum der politischen Macht führte, wollte sie niemals wieder betraut werden. Die Abgründe, die sich ihr aufgetan hatten, hätte sie sich gerne erspart: die Korruption durch den Spitzenbeamten Heise, das undurchschaubare Netzwerk zwischen der Politik und Baumgart, den vertuschten Selbstmord und die Mauer des Schweigens in der Staatskanzlei. Auch an Jürgen Ritter hatte sie Seiten kennengelernt, die ihr nicht gefallen hatten. Und dennoch, gestand sie sich ein, war sie in ihn verliebt. Nach Franz war er der erste Mann, für den sie tiefere Gefühle verspürte.
    Dann dachte sie: Heute ist Heiligabend, ich habe einen Wunsch frei. Nein, korrigierte sie sich in Gedanken. Sie hatte sich zwei Wünsche verdient. Nie wieder einen Mordfall in der Politik, war der erste Wunsch. Aber noch mehr hoffte sie darauf, dass aus Jürgen Ritter und ihr ein Paar würde. Dann ging die Küchentür auf und ihre Mutter erschien. Sie verlangte nach Kaffee und Stollen.

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