Die Staatskanzlei - Kriminalroman
Politiker kaufen zu können.
Er ging zu seinem Schreibtisch und zog die obere Schublade auf. Die Pistole glänzte. Vorsichtig nahm er sie in die Hand. Was, wenn er dem Ganzen ein Ende machte? Keine krummen Geschäfte mehr, keine Deals mit geldgierigen Politikern und korrupten Beamten und kein Projekt mit Lizenz zum Töten gutgläubiger Flüchtlinge. Er könnte es tun, jetzt gleich. Hinter ihm wurde die Tür geöffnet. „Papa, wo bleibst du denn? Oma ist auch schon da. Wir wollen mit der Bescherung anfangen.“
Seine Tochter, sein ganzer Stolz. Für sie tat er das alles. Für sie wollte er Milliardär werden. „Ich komme gleich“, sagte er und legte die Pistole zurück. Während er sich herunterbeugte, um die Schuhe zuzuschnüren, wurde ihm mit erschreckender Deutlichkeit bewusst, dass er sich etwas vormachte. Der einzige Mensch, für den er die kriminellen Geschäfte durchzog, war er selbst. Der Drang, die Milliarde zu knacken, wog stärker als alles andere.
Er stand auf und ging ins angrenzende Wohnzimmer. Stimmengewirr schlug ihm entgegen. Seine Familie hatte sich unterm festlich geschmückten Tannenbaum versammelt. Das strahlende Lächeln seiner Tochter vertrieb die trüben Gedanken. Er ging auf sie zu und umarmte sie.
84
Bernd Wagner erreichte den IC nach Wilhelmshaven in letzter Minute. Im Bahnhof herrschte dichtes Gedränge: Rentner, Studenten, alleinstehende Männer und Frauen aller Altersklassen, die der Wunsch einte, Heiligabend nicht allein zu verbringen.
Bis auf die Saphirohrringe für Monika, die er gestern bei einem renommierten Juwelier in der Georgstraße, der Prachtmeile der niedersächsischen Landeshauptstadt, zum Preis von einem halben Monatsgehalt erstanden hatte, waren seine anderen Vorhaben grandios gescheitert. In seiner Wohnung sah es noch immer aus wie bei Hempels unterm Sofa, nicht einmal das Bett war frisch bezogen, vom Saugen und Aufräumen ganz zu schweigen. Die Ereignisse am Vortag hatten sich überstürzt. Als er am frühen Abend nach Hause gekommen war, hatte seine völlig aufgelöste Sekretärin ihn vor der Haustür erwartet und wirres Zeug geredet. Dass er in höchster Gefahr schwebe und die Beamtenkillerin hinter ihm her sei. Dann tauchten auch noch zwei Polizisten auf. In das Durcheinander platzte ein Anruf des Innenministers. Die Mörderin war gefasst worden.
Wagner hatte nur vage Erinnerungen an Maria Schneider. Kurz nachdem er Regierungssprecher geworden war, hatte ihr Mann bei ihm vorgesprochen, sich um eine Stelle in der Pressestelle beworben. Sie selbst hatte er als spindeldürre, nervöse Frau in Erinnerung. Einmal hatte sie ihn auf dem Parkplatz der Staatskanzlei abgefangen, ihn wegen ihres Mannes bedrängt. Er hatte nicht helfen können, die vakante Stelle in seiner Abteilung war vergeben. Kaum vorstellbar, dass diese zierliche, nichtssagende Person eine Doppelmörderin war.
Der Innenminister hatte die Lage dramatisch dargestellt. Von einem Anschlag auf ihn, der in letzter Minute durch das LKA vereitelt worden war, war die Rede. Also hatte er doch nicht an Paranoia gelitten. Er war tatsächlich beobachtet worden.
Minister Krause war zu sehr Politprofi, um die Chance nicht zu nutzen, die sich ihm mit der Festnahme der Staatskanzleimörderin bot. Er verlangte vom Regierungssprecher Begleitung ins Fernsehstudio und anschließend in die eilig einberufene Landespressekonferenz. Ein Terminmarathon begann. Auch die Rundfunkanstalten wollten bedient sein und es war Mitternacht, als Wagner am Ende seiner physischen und psychischen Kräfte endlich in seine Wohnung konnte.
Doch damit nicht genug, gegen drei Uhr in der Nacht tauchte ein völlig aufgelöster Hollmann bei ihm auf. Sein Freund war durch den Wind. So hektisch hatte Wagner ihn noch nie zuvor erlebt. Das Pflaster auf seiner rechten Wange war nicht zu übersehen. War Hollmann in eine Schlägerei verwickelt worden?
„Ich bin auf dem Weg zum Flughafen. Ich fliege in zwei Stunden nach Malaga und wollte dir Auf Wiedersehen sagen. Ich komme vorerst nicht wieder“, begründete er seinen nächtlichen Besuch.
Was war das denn? Wieso fiel seinem Freund mitten in der Nacht ein, nach Spanien zu fliegen? Hollmann schob eine Erklärung nach. Er würde seine Zelte in Deutschland abbrechen und seinen geliebten Job bei der
Allgemeinen Niedersachsenzeitung
an den Nagel hängen. Er wollte für eine Zeit lang verschwinden. Er werde bedroht.
Wagner wusste nicht, was er davon halten sollte. Seinen Fragen wich Hollmann aus. Er
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