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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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tauchte er ins Vergessen ab. Seine Beine sackten herunter, doch der Hammer fiel nicht zu Boden.
    Jack ließ niemals etwas fallen.

3
Wallingford
    Irgendetwas Riesiges schleuderte den Bettler ins nasse, graue Gestrüpp. Er wälzte sich auf die Seite und starrte zu der glatten Stahlverkleidung eines großen grünen Müllwagens hinauf. Während der Dieselmotor aufheulte und schwarzen Rauch ausstieß, streckte der Fahrer den Glatzkopf aus der Kabine. »He, du Schnorrer! Such dir Arbeit!«
    Der Stoß hatte im Bauch des Bettlers einen dumpfen Schmerz ausgelöst. Auch der Kopf tat ihm weh. Er konnte sich nicht an seinen Namen erinnern, nur daran, dass er vor etwas Schmerzhaftem und Hässlichem davongerannt war. Das schwang wie eine Stimmgabel in seinen verwirrten Gedanken mit …
    Er hatte sich zu weit aus dem Fenster gelehnt.
    Versucht zu entkommen.
    Sicher hätte der Fahrer des Müllwagens sich nicht derart unverschämt aufgeführt, wenn er tatsächlich einen Fußgänger erwischt hätte, mochte es auch nur ein Schnorrer sein, dachte der Bettler. Doch er hatte ja gar nichts abbekommen. Er war lediglich gänzlich unerwartet am Straßenrand gelandet, lag in seinen Stiefeln so da, dass ein Fuß sich bis zum Gehweg streckte, während der andere fast bis zum Hintern angewinkelt war, und sah mit großen Augen zu, wie sich an der Kreuzung eine Autoschlange bildete.
    Seine Gedanken fügten sich wie ein Puzzle zusammen, doch irgendetwas tauchte plötzlich auf und versuchte, sie wieder durcheinanderzuwirbeln. Etwas, das den engen Raum hinter seinen Augen mit ihm teilte … Ein anderer Verstand, der Angst hatte und voller Groll steckte.
    Fachmännisch zerquetschte der Bettler diesen ungebetenen Gast, so wie er ein Insekt zerdrückt hätte, und konzentrierte sich auf das Wesentliche. Wo befand er sich überhaupt? Als ein dicker Ast knackte, kauerte er sich tiefer ins Gestrüpp. In seinem Rücken spürte er ein schweres Bündel: Rucksack, Mantel, Sweatshirt, eine Plastikflasche. Ein Teil von ihm – der Teil, den er zu unterdrücken versuchte –, erinnerte sich noch daran, wie er dort alles verstaut hatte. Er kam sich wie ein halber Pullover vor, der sich auf seltsame Weise mit einer anderen Pulloverhälfte verbunden hatte, so dass das Garn zwei verschiedene Farben aufwies. Und zwischen beiden Teilen, in der Mitte, ribbelten sich alle Fäden auf. Konnte er wirklich in einer besseren Welt gelandet sein, wenn er Kleidung und Wasser im Gebüsch versteckte?
    Sein Blick fiel auf seinen linken Arm. Der schmutzige grüne Jackenärmel war mit etwas verkrustet, das wie Schnodder aussah.
    Jetzt bog der Müllwagen links ab und rumpelte weiter. Der Bettler kannte das Gebiet. In diese Straße mündete eine Abfahrt von der Fernstraße 5, sie lag nahe bei der Fünfundvierzigsten. Früher einmal hatte er sie jeden Tag genommen, um nach Hause zu fahren, und war genau an dieser Ecke abgebogen.
    Doch diese Wagen passten nicht ins Bild.
    Mit steifem, wundem Körper rappelte er sich hoch. In seinem Magen hämmerte ein hinterhältiger, unterschwelliger Schmerz – irgendein Schmerz, an den dieser Körper gewöhnt war. Das erschütterte ihn: Dieser Körper empfindet chronische Schmerzen.
    Zwei Namen umkreisten einander wie Preisboxer, bis einer den anderen schließlich zu Boden schlug. Die bloße Erfahrung
und Sturheit trugen den Sieg über die Bestürzung und Empörung davon. Auf ein innerliches Aufheulen folgte – Stille. Nichts schien ins Bild zu passen, irgendetwas war schiefgelaufen.
    Ich bin Daniel.
    Ich bin Daniel Patrick Iremonk.
    Die Schlange in seinem Bauch vollführte solche Saltos, dass er herumwirbelte und sich ins Gebüsch erbrach. Er sah lieber nicht nach, was ihm da hochgekommen war.
    Weitere Wagen huschten vorbei, schnittige, blasenförmige oder hinten abgehackte Automobile, die wie seltsame Karikaturen der Wagen wirkten, die er kannte. Die Fahrer musterten ihn entweder voller Abscheu oder beachteten ihn gar nicht, da sie die Augen auf die kommende Abzweigung gerichtet hatten.
    Das hier war wirklich unheimlich, Daniel bekam Angst. Der andere Kerl in seinem Kopf interessierte ihn nicht mehr. Von Anfang an war er nicht gerade stark gewesen. Daniel hatte ihn so schnell zusammenschlagen können, dass von ihm nur noch ein Satz schlammfarbener Erinnerungen übrig geblieben war. Nie zuvor war es so wie jetzt gewesen. Natürlich hatte Daniel auch nie zuvor versucht, so weit zu springen. Sieh dich um. Vielleicht hast du den schlimmen Ort

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