Die Stadt der Engel
der Amerikaner erst zwei Tage später aufgefunden wurde – und verschwunden war er ja öfter mal.«
»Caine muß ein verdammt zäher Brocken gewesen sein«, entgegnete Garella. Sein Gesicht verdüsterte sich: Auch wenn ein Geheimdienstmann keine Vorliebe für zwitschernde ›Nuhs‹ hatte, mußte er auf diesem schillernden Schauplatz jederzeit mit einem solchen Ende rechnen.
»Und wer ist der Zeuge?« fragte Garella.
»Ein fliegender Straßenhändler. Er arbeitet seit einiger Zeit mit einem von Grawutkes Leuten zusammen.«
»Auf Geldbasis?«
»Nicht eigentlich«, antwortete Carol. »Kleine Gefälligkeiten, gewiß. Er ist ein Flüchtling aus Kambodscha. Sein Motiv ist der Hass auf die Yuon.« Carol benutzte das in Indochina gebräuchliche Schimpfwort für die Vietnamesen, die in Kambodscha die Khmers zu Gefangenen im eigenen Land gemacht haben.
»Und wo ist der Mann jetzt?«
»Er wird noch vernommen.«
»Gut«, entgegnete Garella. »Bleiben Sie am Ball«, forderte er seine Kontaktperson auf.
Carol entnahm ihrer Handtasche Computer-Unterlagen. Der Spezialist überflog sie und erfasste, daß sein Wissen noch immer auf dem neuesten Stand war. Das hieß durchaus nicht, daß Garella zu gut informiert war, sondern bedeutete offensichtlich, daß das Elektronen-Gehirn zu wenig Informationen, zumindest über die Drahtzieher des Thai-Geheimdienstes, gespeichert hatte.
»Dürftig«, rügte er.
»Es ist so gut wie unmöglich, in diesen Kreis einzudringen«, erklärte Carol. »Er ist geradezu hermetisch nach außen hin abgeriegelt.«
»Was weiß eigentlich der Botschafter über die ›Operation Flashlight‹?«
»Nichts«, erwiderte Carol. »Er wurde nur ganz allgemein darauf vorbereitet, daß unser Geheimdienst unter Umständen einen Coup plane –«
»Wie weit sind Sie mit dem ›American-Club‹?« fragte Garella.
»Ich habe Fuß gefaßt«, berichtete die elegante Wirtschaftsspezialistin. »Und Colonel Miller von der THAI TRASCO ist voll auf mich abgefahren. Der alte Vietnamveteran gibt sich als Schwerenöter.« Sie lächelte maliziös. »Er ist hinter mir her wie der Windhund hinter dem falschen Hasen und will einfach nicht begreifen, warum er bei einer Dame mit einem solchen Ruf nicht weiterkommt.«
»Und die anderen Club Members?« fragte Garella.
»Interessieren sich mehr für meine Beine als für meine Tätigkeit in der Botschaft. Ich gelte als eine Art Wanderpokal, den noch keiner angerührt hat. Nur Kingsley, der Presseattaché, wirft sich in die Brust und macht stumme Andeutungen.«
»Männer«, erwiderte Garella als wäre er keiner. »Vielleicht sollte man sie ab einer bestimmten Position kastrieren wie mittelalterliche Sängerknaben, um den Stimmbruch hinauszuschieben.«
»Schrecklich«, entgegnete Carol und betrachtete ihn anzüglich. »Bei allen wird es schon nicht nötig sein.«
»Wenn Sie auf mich anspielen«, versetzte der Agent, »so hält mich mein ramponiertes Gesicht vor großen Sprüngen ab.«
»Seit wann sind Sie denn so eitel?«
»Bin ich nicht«, behauptete Garella, »aber ich möchte auch nicht, daß die Kinder auf der Straße schreiend vor mir davonlaufen.«
»Sie übertreiben, Paul«, versetzte die subversive Diplomatin. »Mich schreckt Ihr Anblick nicht.«
»Ihnen bleibt ja auch nichts anderes übrig«, erlaubte er sich ein Abgleiten in den Plauderton.
»Ihre Gesichtsfassade ist schließlich eine Äußerlichkeit, die sich noch dazu bald geben wird«, fuhr Carol fort. »Schließlich zählen ja wohl wichtigere Werte –«
Er betrachtete die junge Frau aus Pittsburgh. Es war ihm klar, daß sie den Computer auch über ihn abgefragt hatte, aber diese Version hatte er für den internsten Dienstgebrauch selbst verfasst, und die Eigenschaften, die er unterschlagen hatte, kannte man in der Branche gut genug. Männern im Untergrund haftet meistens der unfeine Geruch an, Spesenschinder, Schaumschläger, Panikmacher und Wichtigtuer zu sein. Ihre Aufgabe verlangt von ihnen zu lügen, Fallen zu stellen, zu intrigieren, Gegenspieler hereinzulegen. Nicht wenige arbeiten für Geld, und manche lassen sich als Doppel-Agenten gleich zweimal bezahlen.
Ein Mann wie Paul Garella stand über diesen Dingen. Er war vor vielen Jahren von seinem Vater zum Jura-Studium nach Deutschland entsandt worden, und ein Deutscher, dessen eigentliche Heimat Thailand war, erwies sich für Pullach als ein Glücksfall. Man beschäftigte ihn zunächst als Übersetzer, dann als ehrenamtlichen Berater.
Schließlich
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