Die Stadt der Engel
Ferry und rief dem Fahrer zu: »Rajadamri Road, Hotel Erawan !«
Der Mann brauste wie ein Rennfahrer los, jagte durch eine Stadt, in der Ost und West, Gestern und Morgen, Frömmigkeit und Sünde, Chaos und Stille aufeinanderprallen.
»Jede Taxifahrt wird hier zur Mutprobe«, stellte Dany fest.
»Erst zweiundachtzig Jahre nach der Stadtgründung wurde in Bangkok die erste Straße gebaut«, erklärte ihr Mentor. »In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Vorher waren nur die Kanäle Verkehrsadern und Lebensstränge. Dann wurden mehr und mehr Klongs zugeschüttet und zu Straßen ausgebaut; dabei dachte man mehr an die Malaria-Erreger als an Verkehrsplanung.«
Auf dem Hotelgelände stand der berühmte Erawan-Schrein, viel besuchter und geschmückter Sitz einer Hindu-Gottheit.
»Opfern Sie Ihre Blumen, Dany!« forderte sie Ferry auf. »Es wird Ihnen Freundschaft bringen.«
Dany folgte dem Brauch, wie man Münzen in den Trevi-Brunnen in Rom wirft. Sie mußte anstehen. Von allen Seiten wurde der gütige Hindu-Phi mit Blumen verwöhnt. »Ist das ein Liebesgott?« fragte sie.
»Nicht eigentlich«, entgegnete der Wikinger. »Er ist mehr für die Glücksritter und Wettfreunde zuständig.«
»Gut«, erwiderte Dany. »Heute setze ich voll auf Sie, Ferry.« Sie strahlte ihn an. »Übrigens bekommt Ihnen das Aussteigen gut, Doktor Kimble. Man kann direkt zusehen, wie Sie sich verjüngen.«
»Danke«, versetzte er und nannte dem Fahrer die Soi Kasemsong II am Klong Maha Nag als nächstes Ziel. Das berühmte Jim Thompson-Haus war von einem dschungelartigen Garten umgeben. Ganzjährig leuchteten hier Blumen in allen Farben, eingebettet in ein alles überlagerndes Grün, ein Garten Eden in der Stadt der Engel.
»Die verschwenderische Pracht ist typisch für dieses Land«, erläuterte Ferry. »Alles gibt es in Thailand in Überfülle, selbst Armut und Reichtum. Dieses Haus besteht eigentlich aus sieben Gebäuden«, stellte er fest, als er mit Dany auf den Eingang zuging. »Üppigkeit, wohin Sie sehen. Allein tausend Orchideensorten. Die Thais begehen auch dreimal das Neujahrsfest. Das westliche, das chinesische und das buddhistische; sie halten an mindestens zwanzig Verwandtschaftsgraden fest, die man bei uns gar nicht mehr registriert, und so wohnen oft, durchaus zufrieden, dreißig, vierzig und noch mehr Menschen in einem Raum.«
Der Architekt führte Dany durch das ganz in Teakholz ausgeschlagene Gebäude wie einer, der hier zu Hause ist. Er erklärte ihr den Unterschied zwischen dem blau-weißen Ming-Porzellan und den Bencharong-Gebilden, einem Fünf-Farben-Produkt, das in China nur für den Thai-Export hergestellt worden war. Er zeigte ihr den handgeschnitzten Palast der weißen Mäuse, einen verspielten Käfig, und den Buddha aus dem 17. Jahrhundert, umgeben von burmesischen Statuen.
»Jim Thompson trug alles mit dem Geschmack des Kenners und dem Glück des Sammlers zusammen.«
»Und mit den Möglichkeiten des Nabobs.«
»Das sicher auch«, bestätigte Ferry. »Er war sehr reich. Er hatte aus der Thai-Seide einen bunten Weltschlager gemacht. Thompson kannte das Land, seinen Kult, seine Sprache. Er verband orientalischen Geisterglauben mit westlichem Fortschrittsdrang. Eine schillernde Figur: In der Brücke-am-Kwai-Zeit hatte er als US-Agent mit großem Erfolg im siamesischen Untergrund gegen die Japaner gekämpft. 1957 verließ der Seidenkönig sein Hotel in Malaysia und verschwand für immer spurlos. Niemand zweifelt daran, daß er ermordet wurde.«
US-Agent? Dany war jetzt blicklos für die Kunstschätze des Thompson-Hauses. Sie dachte an Paul Garella, der heute ebenfalls aus dem Dusit Thani spurlos verschwunden war, und sie fragte sich, ob und wann er wieder auftauchen würde.
»Was haben Sie denn, Dany?« fragte Ferry.
»Entschuldigen Sie, Ferry!« sagte sie, schob einen Moment ihre Hand unter seinen Arm, versuchte sich wieder auf die Tour d'Horizon einzustellen. Sie konnte ohnedies nichts anderes tun, als die Ereignisse abzuwarten.
Die heiße Fährte führte in Thailands kühlste Region. Der wilde Westen des hinterindischen Königreichs liegt im hohen Norden. Paul Garella, der diesen explosiven Schauplatz aus eigenem Augenschein kannte, erfasste bei der Sichtung des Dossiers sofort, daß es Major Vasatrana gelungen sein mußte, erstmals tief in die Dschungelfront einzubrechen, in ein Dickicht, das bisher auch von Experten für undurchdringlich gehalten worden war.
Ausgangspunkt waren rätselhafte
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