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Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Titel: Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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Freunde.
    »Da ist noch etwas, das du mir verraten musst«, sagte ich. »Woher hast du Détection? Vic Willing hat das Buch nie im Leben besessen.«
    Ein Lächeln zerrte an Andrays Mundwinkeln, aber er riss sich zusammen.
    »Wenn ich es Ihnen sage«, meinte er schroff, »glauben Sie es mir sowieso nicht.«
    »Doch«, sagte ich.
    Andray sah sich um. Er kickte mit seinem teuren Turnschuh ein Steinchen weg und schaute zu Boden. Sein Gesichtsausdruck stellte klar, dass er mir, selbst wenn er sich dazu herabließe, mir die Wahrheit zu sagen, niemals verzeihen würde, sein mühsam gehütetes Geheimnis aufgedeckt zu haben.
    »Einmal«, sagte Andray, ohne den Blick zu heben, »hat mich mein Onkel John – ich habe Ihnen doch von ihm erzählt?« Ich nickte. »Einmal hat mein Onkel John mich zu seiner Freundin mitgenommen. Zu einer alten Lady – eigentlich war sie ein bisschen so wie Sie. Irgendwie erinnern Sie mich an sie. Sie hat in dieser riesigen Villa in Uptown gewohnt. Eine Weiße, echt reich. Sie selbst war keine Indianerin, sie war eher so eine Art Sympathisantin. Sie war mit den Stämmen befreundet. Sie kannte alle Lieder und alle wichtigen Chiefs. Jedenfalls haben Onkel John und ein paar von uns Kindern sie besucht. Ich war damals vielleicht sieben oder acht Jahre alt. Da war dieses riesige Haus, und ich habe die anderen irgendwie verloren und mich verlaufen. Ich war in der Bibliothek. Da gab es eine eigene Bibliothek, können Sie das glauben?«
    Ich nickte. Ich vermisste die Bibliothek jeden Tag.
    »Und das Buch«, sagte Andray. »Ich weiß auch nicht. Es war, als würde ich plötzlich ein Licht sehen oder so. Ich weiß auch nicht. Mister John hatte uns verboten, irgendwas anzufassen, aber ich habe es wie unter Zwang aus dem Regal genommen. Es war so, als hätte das Buch darauf bestanden.« Andray sah mich an. »Kennen Sie das?«
    Ich nickte. Ich hatte dasselbe gefühlt, als ich das Buch vor so vielen Jahren im Speisenaufzug meiner Eltern entdeckt hatte.
    »Jedenfalls kommt genau in dem Moment die Lady rein. Ich dachte, Hilfe, jetzt kriege ich richtig Ärger. Ich dachte, Mister John würde … aber dann hat die Lady mich mit dem Buch gesehen und gelächelt. Es war fast so, als würde sie sich freuen. Wissen Sie noch, dass man sich als Kind über die seltsamsten Dinge nicht wundert, weil man es einfach nicht besser weiß? Und wenn man dann später drüber nachdenkt, ergeben sie überhaupt keinen Sinn? So war das. Damals fand ich es kein bisschen seltsam. Sie hat nach meinem Namen gefragt und wo ich wohne und wer meine Eltern sind. Normales Zeug. Sie war echt nett. Nette Lady. Sie hat mich in die Küche mitgenommen und Tee gekocht. Danach hat sie sich die Teeblätter in meiner Tasse angesehen. So als könnte sie drin lesen. Und dann hat sie mir das Buch in die Hand gedrückt und gesagt …«
    Andray verstummte und sah sich um. Er seufzte.
    »Sie hat dir gesagt, dass du wissen wirst, wann die Zeit gekommen ist, das Buch einer anderen Person zu zeigen«, beendete ich den Satz für ihn. »Sie hat dir aufgetragen, das nicht zu vergessen. Du solltest es auf keinen Fall vergessen. Und du hast es nicht vergessen.«
    Wir sahen einander an. Andray runzelte verwirrt die Stirn. Er ahnte noch nicht, wie seltsam und wunderbar die Welt sein konnte. Sogar heute, am schlimmsten Tag seines Lebens.
    »Manchmal«, sagte Andray mit tränenüberströmtem Gesicht, »manchmal kommt mir die ganze Welt vor wie ein Schlammloch, und nichts ergibt einen Sinn. Alles ist so sinnlos. Alles ist so – böse. Einfach nur böse. Und dann wiederum ist es plötzlich so, als passe alles genau zusammen, wie bei einem Puzzle. Man hat ein kleines Teil gefunden, vor fünf oder zehn Jahren. Und eines Tages, Jahre später, erkennt man, wo es hineinpasst. Dann erkennt man, dass es von Anfang an seinen Sinn hatte. Man hat es bloß nicht gesehen. Man war zu klein, um es zu erkennen.«
    Er schniefte. »Heute kommt mir das aber nicht so vor.«
    Ich wollte ihn umarmen, aber womöglich würde er mich erschießen.
    »Vielleicht irgendwann später«, schlug ich vor. »Vielleicht im Nachhinein. Und die Stückchen, die du jetzt hast, die vielen kleinen Teile, die du so schrecklich findest – vielleicht rutschen sie eines Tages alle an ihren Platz, und dann begreifst du den Sinn.«
    Ich wusste selbst nicht, ob ich das glaubte. Andray zuckte die Achseln. Die Tür war ins Schloss gefallen; er hatte zu weinen aufgehört, und der freundschaftliche Augenblick war

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