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Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Titel: Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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kein anderer retten wollte. Er bringt sie an Land und fährt sofort wieder raus. Er isst nichts, trinkt kaum mal einen Schluck Wasser. Wie ein verdammter Roboter«, sagte Frank. »Bootsladung für Bootsladung. Und dann kommt er von einer Tour zurück und steigt aus dem Boot. Und da höre ich einen Schuss, oder zumindest bilde ich es mir ein. Ich höre ein Geräusch, weiß aber nicht genau, was das ist. Ich sehe mich um, kann nichts erkennen. Aber er, Ihr Mann – er ist eben aus dem Boot geklettert und hält ein Kind im Arm, einen kleinen Jungen. Und dann – zuerst denk ich, vielleicht ist der Junge ihm zu schwer. Der Junge rutscht ihm aus dem Arm, und er stolpert und fällt hin, und dann …« Frank riss die Arme in die Höhe und deutete an, wie der Mann zu Boden ging.
    »Er hat sich zusammengekrümmt«, sagte Frank. »Alles ging ganz schnell.« Er schnipste mit den Fingern. »So. Ich wusste natürlich, was Sache war. Ich drehte mich um und sah einen Jungen weglaufen, so einen Kriminellen mit langen Haaren. Dreadlocks. Weißes T-Shirt, weite Jeans. Sie wissen ja, wie die aussehen. Sein Gesicht konnte ich nicht erkennen. Ehrlich gesagt konnte ich in dem schwachen Licht nicht allzu viel sehen. Aber dann ging einer dieser Suchscheinwerfer über uns rüber, und für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich ihn im Blick. Ich habe sein Gesicht nicht gesehen, aber das kann ich Ihnen sagen: Er war dünn, etwa eins siebzig groß, dunkelhäutig und mit diesen Haaren, und dann hatte er noch Tattoos, wie diese Kriminellen sie alle haben. Sie wissen schon, welche ich meine.«
    Frank schüttelte den Kopf. Er sah ratlos und wütend aus.
    »Diese Kids. Erschießen sich grundlos, ballern alles über den Haufen, was ihnen in die Quere kommt. Ich meine, wohin soll das führen? Wann hört das endlich auf? Ein solcher Mann, ein Held. Und letzte Woche erst dieser Musiker, und die Frau mit ihrem Baby, da drüben war das, wie viele noch … sieben, acht? Oder zehn? Ich habe so viele Menschen sterben sehen. Ich bin vom Irak nach New Orleans gekommen, später musste ich noch mal hin. Aber so was – so was vergisst man nicht, verstehen Sie? Ich werde gerne aussagen und auch eine eidesstattliche Erklärung unterschreiben oder wie das heißt. Ich will denjenigen, der das getan hat, dafür bezahlen sehen. Ehrlich.«
    Frank sah mich an. Ich wich seinem Blick aus.
    »Ich weiß nicht, was schlimmer ist«, sagte ich schließlich.
    »Schlimmer als was?«, fragte Frank verwirrt.
    »Ich weiß nicht, ob es schlimmer ist, Ihnen die Wahrheit zu sagen«, antwortete ich, »oder Sie weiter anzulügen.«
    Frank setzte sich stirnrunzelnd auf.
    »Die Wahrheit«, sagte er.
    Ich erzählte Frank die Wahrheit. Ich sagte ihm, wer Vic Willing erschossen hatte und warum.
    »Wollen Sie immer noch gegen ihn aussagen?«, fragte ich.
    Franks Gesicht verfinsterte sich, als sei ein Schatten darauf gefallen.
    »Ich weiß nicht«, sagte er. »Darüber muss ich in Ruhe nachdenken.«
    Ich nickte. Ich hoffte, er würde es lassen.
    Wir saßen da und sahen einander nicht an.
    »Mit der Wahrheit ist es so«, sagte Frank nach einer Weile, »sie ist leider nie so, wie man sie gerne hätte.«
    »Nein«, sagte ich, »nie.«
    Frank rührte uns noch einen Tee an. Wir tranken und unterhielten uns darüber, wie er sein Haus instand setzte: Stück für Stück und mit von den Nachbarn »geborgtem« Holz. Zum ersten Mal fiel mir auf, dass die wenigen erhaltenen Wände aus hochwertigem Zypressenholz bestanden und alle Fügestellen nahtlos ineinandergriffen. Auch die Träger, die ich für Überreste gehalten hatte, waren neu und aus solidem Zypressenholz, der Boden aus abgeschliffener Kiefer.
    »Das wird ein anständiges Haus«, sagte ich.
    Frank nickte und runzelte nicht länger die Stirn.
    »Ja«, sagte er, »so sieht’s aus.«

    »Nun«, sagte ich, als ich meinen Tee ausgetrunken hatte. »Wissen Sie, was mit Vics … mit seinem Leichnam passiert ist?«
    Frank schaute beiseite.
    Er nickte.
    »Es war ja leider so«, fing er an, »wir wussten nicht, wohin damit. Er war ja nicht der Einzige. Eine Menge Leute waren gegangen.« Damit meinte er gestorben. »Wir wussten nicht, wohin mit ihnen. Deswegen haben wir eines der anderen Rettungsteams gefragt, die Indianer, die schwarzen Indianer, die haben ihn mitgenommen, wir haben sie gebeten …«
    Frank hielt inne und trank einen Schluck Tee.
    »Die Indianer«, fuhr er fort, »haben sie in ein Boot geladen und dann nach – tja, ich weiß

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