Die Stadt und die Sterne - Mit einem Vorwort von Gary Gibson
Stadt Diaspar siecht Millionen Jahre in der Zukunft unter unserer Sonne dahin und treibt durch eine Trümmerwüste, die Straßen und Parks voller so uralter wie altersloser Bewohner, die den längst gestorbenen Träumen ihrer aben teuerlustigeren Vorfahren nachlaufen; das Einzige, was von ihrem weltenumspannenden Reich geblieben ist, sind die Erinnerungen in den Schaltkreisen der riesigen Computeranlagen ihrer Stadt. Auf den ersten Blick scheint es sich hier um die trostlose Vision eines sterbenden Volkes zu han deln, doch tatsächlich ist es der Beginn einer optimistischen Geschichte über die Fähigkeit des menschlichen Geistes, alle Arten von Hindernissen zu überwinden, um seinen brennenden Wissenshunger zu stillen.
Alvin, seit ewiger Zeit das erste neue Kind, das in Diaspar geboren wird, ist ein typischer Clarke-Protagonist, denn er wird von eben jener drängenden Neugier getrieben: Was mag wohl jenseits der Wüste liegen, die Diaspar umgibt? Das Echo dieses Wunsches, die Grenzen unseres Wissens buchstäblich zu erweitern, ist auch in Clarkes Roman »Rendezvous mit Rama« von 1973 zu hören, in dem die Besatzung der Endeavour ein lange verlassenes außerirdisches Raumschiff von gewaltigen Ausmaßen erforscht, und ebenso bei Dave Bowmans Begegnung mit dem mysteriösen Monolithen in »2001 – Odyssee im Weltraum«. In all diesen Büchern wird ein Mensch mit dem scheinbar Göttlichen konfrontiert, das sich letztlich als Produkt der Wissenschaft erweist – der Wissenschaft einer weit fortgeschrittenen Zivilisation. Eben dieses Thema der Begegnung mit einer Zivilisation, die über derart macht volle Technologien gebietet, dass sie ihr einen quasi gottgleichen Status verleihen, findet sich auch in »Die letzte Generation«, dem Roman, den viele als Clarkes Meisterwerk betrachten. Seinen Ansatz hat der Autor 1962 in seinem Sachbuch »Profile der Zukunft« mit den berühmten Worten formuliert: »Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.« Anders ausgedrückt: Wenn wir uns irgendwann zu den Sternen aufmachen, treffen wir womöglich auf Wesen, die unser Vorstellungsvermögen in jeder Hinsicht übersteigen.
Kaum ein anderer Autor begriff so gut wie Clarke, dass jedwede andere Zivilisation, die unsere Spezies vielleicht eines Tages entdecken wird, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ihren Aufstieg und Fall schon längst hinter sich haben und ihr Vermächtnis nur aus verstaub ten Ruinen und uns unverständlichen Artefakten bestehen wird. Was »Die Stadt und die Sterne« in dieser Beziehung von Clarkes anderen Werken allerdings unterscheidet, ist, dass die unverständlichen Technologien, von denen Alvin umgeben ist, die Schöpfungen seiner eigenen Vorfahren sein müssen und nicht die von fremden Intelligenzen.
Alvins Suche ist deutlich von Olaf Stapledon beeinflusst, einem weiteren englischen Autor, den Clarke sehr verehrte. In Romanen wie »Die letzten und die ersten Menschen« oder »Der Sternenschöpfer«, die in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg erschienen, entwarf Stapledon ganze »Future Histories«, umfangreiche Geschichten der Zukunft, nicht nur der Menschheit, sondern des gesamten Universums, und präsentierte dabei eine ziemlich schwindelerregende Aussicht, von der Clarke bei seiner Beschreibung der langen Geschichte Diaspars ausgiebig Gebrauch machte.
Andere, nicht-literarische Einflüsse auf Clarkes Schreiben sind ebenfalls erkennbar. Er war sein ganzes Leben lang erklärter Atheist und hat bekanntermaßen einmal gesagt, es sei »eine der großen Tragödien der Menschheit, dass die Moral von der Religion übernommen wurde«. Dieses Thema untersucht er hier ebenso sorgfältig wie seinen Glauben daran, dass jede außerirdische Zivilisa tion, die hinreichend fortschrittlich ist, um durch das Welt all zu reisen, definitionsgemäß wohlgesonnen sein muss, da eine feindselige Spezies mit fortschrittlicher Technologie sich aller Wahrscheinlichkeit nach selbst auslöschen würde, lange bevor sie Gelegenheit hätte, zu anderen Sternen aufzubrechen. Als Alvin also ein alptraumhaftes Geschöpf entdeckt, bemerkt sein Freund Hilvar: »Nichts ist gefährlich, was Verstand besitzt.« Die Menschheit hätte »längst ihren kindlichen Schrecken vor einem fremdartigen Aussehen verloren«.
Wenn ich auf die dreißig Jahre zurückblicke, die zwi schen meinem Schulaufsatz und der Gegenwart liegen, wird mir klar, wie sehr Clarkes Philosophie mein eigenes Denken geprägt hat.
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