Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)
totschlägt, indem man Projekte anzettelt, Meetings abhält oder dem Zeitvertreib „CC: an alle“ frönt. Die ersten Unternehmen der Kreativwirtschaft sind mittlerweile dazu übergegangen, nicht wie VW nach Feierabend die Manager-Babyphones, vulgo: Diensthandys, abzustellen, sondern täglich eine „Silent Hour“ einzuführen, in der keine Emails abgerufen werden können und keine Telefonate durchgestellt werden. Angeblich dient die Maßnahme zur Stress- und Burnout-Prävention. Der wahre Grund ist aber: Man will sicherstellen, dass Mitarbeiter wenigstens eine Stunde am Tag produktiv sind und sich dem widmen, wofür sie bezahlt werden. Eine Stunde!
„Relax! You’ll Be More Productive“ war im Februar 2013 ein Meinungsbeitrag in der New York Times überschrieben. Darin referiert der Autor Tony Schwartz, selbst Gründer einer Zeitberatungsagentur, den aktuellen Forschungsstand zum Thema Produktivität: „Paradoxerweise könnte der beste Weg, mehr erledigt zu bekommen, sein, weniger zu tun. Ein frischer und wachsender Korpus interdisziplinärer Studien belegt, dass strategische Rekreation – inklusive Workouts während der Arbeitszeit, ein kurzes Nickerchen am Nachmittag, länger schlafen, mehr Zeit außerhalb des Office sowie längerer und häufigerer Urlaub – die Produktivität befeuern, die Arbeitsperformance befördern und, natürlich, der Gesundheit zuträglich sind.“Vielleicht begreifen es die Arbeitgeber ja irgendwann, dass viel nicht viel hilft und weniger manchmal mehr sein kann. Und eigentlich könnten sich die Gewerkschaften des Themas Arbeitszeitverkürzung auch mal wieder annehmen, anstatt es allein der Linkspartei zu überlassen.
Nicht-Handlungsempfehlung
Es wird zu viel unternommen. Punkt. Es ist an der Zeit, die Passivität als produktive Ressource zu rehabilitieren, wie es die Kulturwissenschaftlerin Kathrin Busch in ihrem verdienstvollen Büchlein Passivität aus der Reihe „Kleiner Stimmungsatlas in Einzelbänden“ tut. Anstatt lediglich den Müßiggang, das Rasten und Pausieren als notwendige Unterbrechung der allgemeinen Hektik und Hyperaktivität zu Zwecken der Rekreation zu propagieren, „gilt es, die Vernachlässigung des Passiven gründlicher zu revidieren, indem man das Verhältnis von Aktivität und Passivität überdenkt. Was sich dabei zeigt, ist, dass die Passivität sehr viel weiter in das Aktivsein hineinreicht und man ihre eigene Wirksamkeit und Kraft noch freizulegen hat.“ Auch in Hinblick auf eine Theoriebildung der Passivitätgibt es also noch viel zu tun. Warten wir’s ab.
Weniger als an einer Kultur des Scheiterns fehlt es in Deutschland an einer Kultur des Nicht-Handelns und des Bleiben-Lassens. Kathrin Passig, Autorin zahlreicher lesenswerter Sachbücher über Unwissen, Verirren, Prokrastination und das Internet, hegte lange Zeit die Idee, eine Verhinderungsagentur zu gründen, die nichts anderes tut, als Unternehmen ihre Flausen auszureden und sich dafür fürstlich bezahlen zu lassen. Sie hat es bleiben lassen. Dafür hat sie, angelehnt an das Außerirdischen-Such-Projekt SETI, zusammen mit Freunden das WETI-Institut gegründet (weti-institute.org). Statt „Search for Extraterrestrial Intelligence“ steht WETI für „Wait for Extraterrestrial Intelligence“ – man wartet ab und lässt sich von den Außerirdischen finden. Bisher waren beide Projekte ungefähr gleich erfolgreich.
Das Prinzip funktioniert auch in Mode- und Stilfragen: die Überlistung derFashion-Tretmühle durch Ausharren. Man muss nicht schneller sein als die Meute. Man kann wie der Igel in der Furche sitzen und warten, bis der eigene Stil in Form eines Retrotrends wieder in ist. Dass Staying put eine probate Strategie im Hipster-Rattenrennen ist, beglaubigt kein geringerer als der „Godfather of hipness“, Andy Warhol himself.
In The Philosophy of Andy Warhol legt er dar: „Wenn eine Person die Schönheit der Stunde ist, und ihr Look wirklich in Style ist, und wenn dann die Zeiten und der Geschmack sich ändern und zehn Jahre ins Land gehen, und sie behält den Look bei, verändert nichts daran und gibt gut auf sich acht, dann wird diese Person immer noch eine Schönheit sein.“
Das gilt, wie uns Warhol weiter unterweist, nicht nur für die individuelle Stilpolitik, sondern auch für das Auftreten im Geschäftsverkehr: „Schraff’s Restaurant war die Schönheit der Stunde. Dann versuchten sie, mit der Zeit zu gehen und bauten um und bauten um, bis sie ihren Charme
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