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Die Steinernen Drachen (German Edition)

Die Steinernen Drachen (German Edition)

Titel: Die Steinernen Drachen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kern
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über die Erdkrümmung kroch, der Stille zu lauschen und die klare, reine Morgenluft zu atmen. In solchen Momenten stellte sich gelegentlich das Gefühl ein, dass der anbrechende Tag ihm allein gehörte und die Sonne nur für ihn aufging. Diese Augenblicke ließen ihn seine Sorgen vergessen. Darum liebte er jene diffusen, frühen Stunden des neuen Tages, die er gerne als sein persönliches sfumato bezeichnete – weiche, verschwimmende Umrisse, wie in den Werken Leonardo da Vincis.
    Häufig widersetzte er sich in den vergangenen Wochen bis zum Sonnenaufgang seinem Schlafbedürfnis, um dieses Schauspiel zu genießen. Doch seit das Thermometer beständig unter seine persönliche Gänsehautgrenze fiel, waren ihm die langen Nächte unangenehm. Lieber fuhr er nach der Arbeit sofort nach Hause und verkroch sich unter die wärmende Bettdecke. Die Zeiten, an denen er und seine Freunde nach Feierabend durch die Clubs zogen, schienen vorbei zu sein. Der Reiz war dahin, die Nächte durchzumachen und den kommenden Tag zu begrüßen. Der Sommer ging mit großen Schritten auf den nahenden Herbst zu und es war nichts geschehen, was seine Lage verbessert hatte. Er lebte in den Tag – oder besser in die Nacht – hinein. Nach all den wilden und verbrauchten Sommernächten kam ihm seine Lebensweise ziemlich verkorkst vor. Mit diesem melancholischen Gemütszustand behaftet, stand er hinterm Tresen und suchte nach einer CD, die er in das
    Abspielgerät schieben wollte.
    „Bitte, bitte die! Ja, die!“, rief jemand hinter seinem Rücken. Frank schaute auf die CDs in seiner linken Hand. Obenauf lag The Power von Vanessa Amorosi. Er nahm sie vom Stapel und schob den restlichen Packen neben die Anlage.
    „Ja, genau die“, bettelte die Stimme. Er drehte sich um. Allein ihr Lächeln glich einer Verführung. Ihre Augen waren schwarze Perlen, von Gott höchstpersönlich gefasst in einem entzückenden Gesicht. Ihr Mund, die vollen Lippen, gemalt von Paul Gauguin. Eine exotische Schönheit, wie er sie vorher noch nie gesehen hatte. Er ließ die CD-Hülle auf den Steinboden fallen. Das Plastikgehäuse zersprang, die silberne Scheibe rollte über die Fliesen.
    „Spielst du die für mich?“, fragte sie, immer noch lächelnd. Als ihr bewusst wurde, wie ungeniert er sie anstarrte, nahm sie ihre Hand vor den Mund. Ihre Perlenaugen suchten über den Handrücken hinweg seinen Blick, tief, schwarz und unergründlich. Frank riss sich davon los, ehe er zu ertrinken drohte und hob die CD auf. Er hielt sie hoch, so als wollte er eine Bestätigung, dass es die Richtige war. Sie nickte, nahm die Hand vom Mund und lächelte.
    Sylvia stand mit einer Reihe von Bestellungen an der Theke und setzte ihren ungeduldigsten Blick auf. Er hatte sie nicht bemerkt, nahm in den letzten dreißig Sekunden überhaupt nichts mehr wahr – nur diese Frau! Seine Lunge brannte und er stellte fest, dass er nicht mehr atmete. Gierig sog er die rauchige Luft ein. Dann endlich fand er die Starttaste.
    „Mach mal hin“, fauchte Sylvia und Vanessa Amorosi fing an zu singen.
    „Danke“, sagte die geheimnisvolle Schönheit. „Machst du uns noch fünf Margaritas?“
    Frank sah sie an. Uns? Er folgte ihrem Blick. Sie war mit den Chinesen da, Kellnern und Köchen aus dem Chinarestaurant gegenüber, die nach Feierabend ab und zu in die Bar kamen. Das irritierte ihn. Sie sah nicht wie eine von ihnen aus.
    „Fünf Margaritas“, wiederholte er mechanisch, „geht klar.“
    Sie ging zum Tisch der Chinesen, die wie immer verschworen
    ihre Köpfe zusammensteckten. Er zwang sich die Bestellungen fertig zu machen, aber seine Augen wanderten immer wieder zu ihr. Sie saß beim Restaurantpersonal und lächelte in die Runde. Sofort war er auf ihre vier Begleiter eifersüchtig. Er stellte die Cocktails auf ein Tablett und servierte sie persönlich. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie dieselben Sachen trug, wie die anderen Kellner.
    Zitternd setzte er die Gläser ab, konnte seinen Blick nicht von ihr nehmen. Die vier asiatischen Männer musterten ihn abschätzend. Unmissverständlich deuteten sie an, er solle die Finger von ihrer Prinzessin lassen, solle nicht einmal daran denken. Frank ignorierte die düsteren Mienen und behandelte die Chinesen wie Luft. Er konzentrierte sich nur auf die Frau. Was sollte er zu ihr sagen? Sie sprach hervorragendes Deutsch. Nicht diesen schwer verständlichen Singsang, wie er ihn von den Männern an ihrem Tisch kannte. Sie war nicht die typische,

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