Die Steinernen Drachen (German Edition)
mondgesichtige
Chinesin und trotzdem gab sie sich, als sei sie eine von ihnen. Frank wusste zu wenig über die Gepflogenheiten und das gesellschaftliche Verhalten dieser Menschen. Und er hatte Angst ihre Reaktionen falsch zu deuten, aber er musste es wagen, sie anzusprechen.
„Danke für die Musik!“, sagte sie und kam ihm zuvor.
„Wie hätte ich bei diesem Lächeln einen Wunsch ausschlagen können!?“, antwortete er mit fester Stimme. Die Blicke der vier Chinesen verfinsterten sich zunehmend. Sie sah in die Runde. „Ich komme nachher zu dir an die Bar“, versprach sie und widmete sich wieder ihren Begleitern.
Frank war verdutzt über die Antwort und gleichzeitig hüpfte sein Herz. Kann es wirklich so einfach sein?
Sylvia stand mit griesgrämigem Gesicht am Tresen. „Kommst du jetzt mal in die Gänge?“, knurrte sie. „Und pass auf, dass dir nicht die Augen rausfallen!“
„Sind wir eifersüchtig?“, gab er zurück.
„Auf die Chinesenschlampe! Pah!“
„Na, na! Nicht so vulgär!“
Sylvia hatte das Aussehen, die Statur und den unterkühlten Charme einer Skandinavierin: groß gewachsen, blondes Haar und stahlblaue Augen. Doch das nordische Äußere konnte nicht über ihre schwäbischen Wurzeln hinwegtäuschen. Spätestens, wenn sie den Mund aufmachte, war die geografische Zuordnung eindeutig: südlicher Schwäbischer Wald. Neben ihrer Tätigkeit als Bedienung in der Bar jobbte sie noch in einem Fitness-Studio. Sie gab Kurse in Body-Pump und Thai-Bo und war dementsprechend durchtrainiert, körperlich als auch stimmlich. Frank mochte sie trotz ihrer ruppigen Art und kam gut mit ihr aus. Beide nahmen die Querelen und das Gezanke nicht wirklich ernst und waren zu einem guten Team zusammengewachsen.
Sylvia war maßgeblich für seine Verwandlung zum Nachtmenschen verantwortlich. Sie ging nach der Sperrstunde nie gleich nach Hause, tingelte nach Feierabend gerne durch Bars und Clubs, die bis in die frühen Morgenstunden geöffnet waren, und traf dort ihresgleichen: Nachtmenschen, die sich irgendwie alle untereinander kannten und gemeinsam in den Morgen feierten.
Er hatte sich immer häufiger dazu mitreißen lassen, bis er selbst ungewollt zu einem dieser Nachtschwärmer geworden war. Seitdem fragte er sich oft, ob Sylvia und er irgendwann zusammen im Bett landen würden. Ein-, zweimal waren sie nahe dran gewesen. Aber dann war das Ende der Nacht gekommen, ehe sie zu Hause waren und mit dem keimenden Morgen war das sexuelle Verlangen einer emotionalen Trägheit gewichen. Mit Anbruch des nächsten Tages hatte stets die Müdigkeit die Oberhand gewonnen und in ihnen eine seltsame, nicht erklärbare Verwandlung vollzogen. Dann brachte das Tageslicht die freundschaftliche Distanz zurück, die auch während der Arbeit zwischen ihnen herrschte.
Ab zwölf begannen sich die Barbesucher auszudünnen. Samstags war bis eins geöffnet, doch Frank kam selten vor zwei aus dem Laden. Heute schienen die Gäste gnädig zu sein. Bis auf zwei Männer am Tresen und dem Tisch mit den Chinesen hatte sich die Bar um halb eins geleert. Die Asiaten hockten immer bis zum Schluss, was er heute erstmals bewusst wahrnahm. Er wartete sehnsüchtig auf die Schönheit, so wie sie es versprochen hatte. Die wachsende Ungeduld zu unterdrücken, wurde von Minute zu Minute schwerer. Die Zeiger der Uhr bewegten sich zäh, aber unaufhaltsam. Würde sie noch ein paar Worte mit ihm wechseln? Die Angst, dass sie einfach ging, ohne zu ihm an die Bar zu kommen, wuchs mit jeder Sekunde. Als sich seine letzten Gäste endlich Richtung Ausgang bewegten, blieb ihm das Herz stehen. Er versuchte ihren Blick einzufangen, aber es wollte ihm nicht gelingen. Doch dann schickte sie ihre Begleiter voraus und kam auf ihn zu. Frank spürte, wie sich der Knoten in seinem Magen in ein anregendes Kribbeln verwandelte.
„Du hast deine Kollegen gut im Griff. Sieht aus, als gehorchten sie aufs Wort“, versuchte er eine Kommunikation in Gang zu bringen, obwohl ihm der Anblick der Frau den Atem raubte. Sie lächelte ihn an. „Die sind in Ordnung. Sie wollen nur auf mich aufpassen, das ist alles.“
„Wer würde sich nicht wünschen, auf dich aufzupassen?“
„Du bist sehr nett“, meinte sie.
Sehr nett , dachte er und verkrampfte innerlich. „Du arbeitest in dem Chinarestaurant?“, fragte er, um die Unterhaltung nicht abreißen zu lassen. Was für eine bescheuerte Frage! In Gedanken ohrfeigte er sich dafür. Auf keinen Fall wollte er sie schon gehen
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