Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu
Frankreich, vor allem in Italien, wo ihr Vater einen Geschäftspartner hat. So einen Typen, mit dem man Bombengeschäfte abwickelt und der einem später Geld schickt, damit man es wieder investiert.
Sie haben immer in demselben Hotel gewohnt, es war klein und nicht weit vom Strand entfernt. Wenn Vandas Eltern zum Strand gingen und sie mit vorgetäuschten Kopfschmerzen auf dem Zimmer blieb, stibitzte sie ihnen Zigaretten und füllte sich etwas Wein in eine Wasserflasche. Dann kletterte sie auf einen Felsen, der über die Bucht ragte, und dort saß sie, rauchte, trank, schrie mit den Vögeln um die Wette und fühlte sich fabelhaft. Irre gut. Einmal hat sie einen Sonnenstich bekommen. Das war noch bevor bei ihnen zu Hause alles den Bach runtergegangen ist.
Vanda kehrt zum Bücherregal zurück und nimmt ein Buch in die Hand. Sein glänzend weißer Rücken hat sie angezogen. Mitten unter den anderen leuchtete er regelrecht in den Raum. Die Entdeckung der Langsamkeit . Ein Roman über einen Seefahrer, über Abenteuer und Sehnsucht, steht auf dem Umschlag. Vanda liest den ersten Satz: John Franklin war schon zehn Jahre alt und noch immer so langsam, dass er keinen Ball fangen konnte. Vermutlich ein echter Loser. Sie blättert bis zum Ende und liest den letzten Satz: Der Einzige, der ihm nicht zuhörte, war der Photograph der »Illustrated London News«, der eilends seinen Apparat, System Talbot, in Stellung brachte, um den Zustand der Skelette im Bild festzuhalten. Und ein Loser ist er auch geblieben.
Als sie etwas in der Mitte lesen will, schneien zehn Tausendkronenscheine aus dem Buch. Sie hebt sie vom Boden auf und legt sie zurück, zwei Scheine behält sie aber. Genauso viel hat sie für ihre Tätowierung hingeblättert, die immer noch juckt.
Sie stellt das Buch zurück und legt sich noch mal kurz ins Bett. Gähnend sieht sie Nestor im Aquarium zu und fährt streichelnd mit der Hand über ihren Körper. Hat sie gestern mit ihm geredet oder war es ein Traum? Er hat es ihr gut besorgt. Petr. Nicht Nestor. Er war auf jeden Fall viel besser als Danny. Auch im Vergleich mit dem Arschloch Harry war Petr richtig gut. Vielleicht sogar besser als Maureen. Dabei ist die Engländerin. Und die einzige echte Punkerin, die Vanda kennt. Vanda würde sich nie die Brustwarzen durchlöchern. Erst recht nicht da unten piercen lassen. Schon gar nicht zwei Ringe, wie es Maureen gemacht hat. Aber die war nicht nur Punk, sondern auch Psycho. Vielleicht hat Sex mit älteren Männern auch was, denkt Vanda. Auch wenn sie sich nicht sicher ist, ob sie unter normalen Umständen mit einem so alten Typen überhaupt geredet hätte, vom Bett ganz abgesehen. Aber gestern Abend war nichts normal. Gestern Abend war sie entgleist. Leicht außer sich gewesen. Out. Aber jetzt ist alles wieder gut. Was sie Petr zu verdanken hat. Aber das würde sie ihm gegenüber nie zugeben. So was sagt man nicht laut.
Er ist mit Abstand der älteste Typ, mit dem sie je geschlafen hat. Auch wenn sich ihre Freundin Lucie einen noch älteren angelacht hat. Wahrscheinlich machte es sie an, sonst hätte sie nicht mit ihm geschlafen. Das ist Vanda aber schnuppe. Lucie kann ihr gestohlen bleiben. Eine ehemalige Freundin ist die, mehr nicht. Ne blöde Kuh, zur Hölle mit ihr.
STILLES PRAG
V ladimír steht am Schreibtisch mit den Fotos unter der Glasplatte, macht eine Schublade auf und geht die Medikamentenschachteln durch, die unter einer Mappe mit alten Notenaufzeichnungen liegen. Rohypnol. Xanax. Valium. Diazepam. Von jedem Mittel gleich mehrere unangetastete Schachteln. Nie ausgepackte Probegeschenke von Vladimírs Ärztin. Erst heute kramt er sie wieder hervor, will testen, was sie können.
Er wird sie mit Wodka herunterspülen, den er in dem vietnamesischen Nonstop-Laden unten auf der Straße kaufen wird. Die Vietnamesen mögen ihn. Sie mögen jeden, der bei ihnen einkauft. Und Vladimír mag wiederum sie gerne. Sie sind unauffällig, tüchtig und leise. Gäbe es in der ganzen Stadt nur Vietnamesen, wäre es ein ganz passabler Ort zum Leben. Vielleicht hätte Prag dann sogar eine Zukunft.
Ob er sich für einen mährischen, sowjetischen oder finnischen Wodka entscheidet, weiß Vladimír noch nicht, vielleicht kauft er sogar einen Wodka aus Prag, auch wenn der am meisten im Hals brennt. Er hat noch genug Zeit, um sich das zu überlegen.
Genauso wenig weiß er, ob es besser ist, sich Mut anzutrinken, alle Tabletten auf einmal zu schlucken und dann das Zeug mit Wodka
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