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Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu

Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu

Titel: Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaroslav Rudis
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bewährt hat, und das in dieser Form noch weitere zehn oder zwanzig Jahre hätte bestehen können. Aber sie, Hana, macht heute Schluss.
    Auf dem Flughafen in Lissabon wollte sie gar nicht nach Prag zurückkehren. Jetzt freut sie sich allmählich. Darauf, endlich das zu tun, was sie will.
    Sie blickt aus dem Fenster auf die aufgetürmten Wolken unter ihr. In der Ferne taucht ein anderes Flugzeug auf, es zieht einen geklöppelten Schweif aus kondensiertem Dampf hinter sich her. Vielleicht dasselbe Flugzeug, mit dem Hana vor zwei Tagen nach Lissabon geflogen ist. Einmal hat sie sich ausgerechnet, bereits viermal den Erdball umrundet zu haben.

20 GRAD CELSIUS
    E r nimmt eine kleine chirurgische Schere in die Hand und prüft, ob sie scharf ist. Ja, sie ist es immer noch. Er schneidet sich die Fingernägel.
    Auch das Skalpell, das er sich im Krankenhausbedarf gekauft hat, ist scharf geblieben.
    Vladimír steht am Fenster. Die hereinfallende Sonne spiegelt sich im glänzenden Metall wider. Er verstaut die beiden Instrumente in einem alten Brillenetui, das seine Frau nicht mehr braucht.
    Er sieht auf die Straße herunter, auf der es nur so wimmelt von Autos. Die gelbe Fassade der Telekommunikationszentrale, die wie eine alte Festung in die Höhe ragt, wird renoviert, die Bauarbeiter flitzen flink über das Gerüst. Dahinter der Fernsehturm, der die Stadt mit giftigen Wellen verpestet. Ein Blick auf das Thermometer. Zehn Grad. Nachmittags werden es höchstens zwanzig sein. Er geht zum Schrank, öffnet ihn und studiert die an der Innentür angebrachte Tabelle.
    20 Grad Celsius. Hemd. Dünner brauner Mantel. Schwarze, braune oder karierte Hose. Pullover nicht nötig. Socken. Er folgt den Anweisungen und zieht sich langsam an. Hinter seinem Rücken hört er ihre Schritte. Er dreht sich aber nicht um.
    Seine Frau sagt, er solle nicht vergessen, eine schöne Krawatte umzubinden, bei einem Hemd sei eine Krawatte Pflicht, außerdem sehe er gut damit aus. Als er sich umdreht, ist sie nicht mehr da. Wohl wieder in ihr Zimmer gegangen. Irgendwo fällt die Tür zu.
    Er mag die Küche nicht. Sie liegt außerhalb der Reichweite seines Geräts. Hier dringt fast jedes Geräusch hinein, ähnlich wie im Badezimmer oder auf der Toilette. Von allen Seiten hört man die Nachbarn. Auch die Geräusche aus dem Restaurant im Erdgeschoss. Und aus dem Rockclub im Keller. All den Lärm, wegen dem er immer wieder die Polizei anruft. Aber die steckt mit der Lärmmafia ganz offensichtlich unter einer Decke.
    Er kocht sich Kaffee. Mit viel Milch. Bröselt ein altes Brötchen hinein. Mehr frühstückt er nie.

UNTERWEGS NACH OBEN
    W ayne steht im Stau auf dem Schnellring und beobachtet die Züge, die den Hauptbahnhof verlassen. Das letzte Mal ist er vor etwa drei Jahren Zug gefahren, da hatten die Kleine und er einen Ausflug zu einer alten Burg an der Sázava gemacht. Wayne findet die tschechische Eisenbahn muffig, langsam und unsicher, aber so ist das ganze Land. Ganz Mitteleuropa. Gerade deswegen hat er damals diesen Landstrich ins Herz geschlossen.
    Wayne denkt daran, wie sie im allerletzten Waggon am Fenster standen, sich hinauslehnten und sich den Wind durch die Haare fahren ließen. Damals kam sie ihm wunderschön vor. Und klein. Seitdem nennt er sie so. Die Kleine. Sie mag das.
    Die Kleine.
    Damals trug sie ihre Haare noch lang. Lächelte ihn ständig an und brachte ihm viele neue Wörter bei. Vielleicht sollten sie diesen Ausflug wiederholen. Vielleicht könnte sie sich wieder die Haare wachsen lassen. Sie sollten mal darüber reden.
    Sein Handy klingelt.
    Clark.
    Er ist nervös. Wayne merkt das sofort an Clarks Stimme, auch wenn sie nicht zittert. Klar. Heute steht viel auf dem Spiel. Sozusagen alles. Wayne versucht, Clark zu beruhigen. Natürlich werden sie den Polen nichts schenken. Die haben einfach den Fehler gemacht, sich nicht zu versichern. Und sind das Ding trotzdem angegangen. Was dachten die, wo sie sind? In Russland? Irgendwo in der Ukraine? Wie kamen sie überhaupt darauf, dass man hierzulande krumme Dinger mit Aktien drehen kann? Die werden einfach ihren Kram packen und den Nachmittagsflieger nach Warschau nehmen müssen. Ohne Firmengründung und ohne einen Cent Gewinn in der Tasche. Eine Entschädigung können sie sich aus dem Kopf schlagen. Die kriegen einen feuchten Händedruck und werden froh sein, wenn wir sie nicht verklagen.
    »Polish beggars«, sagt Clark, aber Wayne weiß, dass die Sache auch ganz anders ausgehen könnte.

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