Die Stimme der Erde
Ihr Kretin!«
»Vielleicht, my Lord, aber ich hätte ihr nichts Schlimmes zugefügt. Niemals würde ich ihr ein Härchen auf dem Köpfchen krümmen!«
»Bei allen Höllenfeuern, ihr Köpfchen ! Sie ist genauso groß wie Ihr!«
»Lord Henry, Ihr müßt sie mir zur Frau geben, Ihr müßt es tun! Mein Vater, meine ganze Familie werden sie achten und ehren. Bitte, my Lord, ich hätte ihr bestimmt nichts Böses angetan.«
Da konnte Lord Henry nur grinsen. »Nur zu wahr, junger Mann. Sie hätte es nie zugelassen, daß Ihr sie vergewaltigt, Ihr unreifer Grünschnabel. Da kennt Ihr sie wenig. Sie hätte Euch erledigt, denn sie ist so kräftig wie mein stärkster Ritter und keine Zierpuppe wie andere Damen. Also Vergeßt sie, Jung-Ivo, hört Ihr mich?«
Doch Ivo schüttelte den Kopf.
Furchteinflößend zog Lord Henry die dichten schwarzen Augenbrauen zusammen. Sein Gesicht wurde so böse, daß sogar Philippa, die an die Wutanfälle ihres Vaters gewöhnt war, zurückschrak. Bestimmt würde auch Ivo bald den Rückzieher machen. Kein Mann hielt ihrem Vater stand, wenn er in dieser Stimmung war. Doch zu ihrer und Lord Henrys Verblüffung unternahm Ivo noch einen Vorstoß. »Ich liebe sie, my Lord! Ich liebe nur Philippa!«
Lord Henry kreuzte die fleischigen Arme vor der Brust.
Schweigend musterte er Ivo. Dann schien er einen Entschluß gefaßt zu haben. Finster sagte er: »Philippa ist schon verlobt. Sie wird an ihrem 18. Geburtstag heiraten, und der ist in zwei Monaten.«
»Heiraten! Nein!«
»Doch. Und damit, Ivo de Vescy, entweder nehmt Ihr Bernice oder...«
»Aber my Lord, wen soll sie denn heiraten? Wen sollte sie lieber haben als mich?«
Philippas Kopf kam dem offenen Türspalt noch näher.
»Sie wird William de Bridgport heiraten.«
De Bridgport!
Philippa glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Offenen Mundes wirbelte sie herum. Da hörte sie den leichten Schritt ihrer Mutter und glitt rasch hinter einen Wandgobelin, den ihre Großmutter vor 30 Jahren gewoben hatte. Ihre Mutter ging vorbei und betrat das Zimmer, ohne anzuklopfen. Philippa hörte ein Flüstern, verstand aber kein Wort. Schnell bezog sie wieder an der offenen Tür Stellung.
Ivo schaute von einem zum anderen und wich einen Schritt zurück. »William de Bridgport! Aber my Lord, my Lady, das ist doch ein alter Mann, ein dicker, zahnloser alter Mann mit einem Wanst, der...«Ivo fehlten die Worte. Er deutete den Wanst mit den Händen an, einen Meter vor dem eigenen Leib. »Er ist ein Schreckgespenst, my Lord, ein Mann so alt wie mein Vater, ein... «
»Bei den Zähnen des Teufels, haltet den Mund, Ihr unverschämter kleiner Lümmel! Ihr habt doch von nichts eine Ahnung!«
Jetzt ergriff Lady Maude das Wort. Mit boshafter Stimme sagte sie: »Das geht Euch überhaupt nichts an! Wir bieten Euch Bernice, und Ihr nehmt Bernice, oder Ihr macht, daß Ihr von Beauchamp verschwindet!«
Philippa war erblaßt. De Bridgport war noch schlimmer, als Ivo ihn geschildert hatte. Der Mann war Vater dreier abschreckender Sprößlinge, alle älter als sie - zwei schrille, anspruchsvolle Töchter und ein kinnloser, hämisch glotzender Sohn. Das konnte nur ein böser Scherz sein. Ihr Vater würde sie doch nicht... Er hatte überhaupt keine Veranlassung, sie mit de Bridgport zu vermählen. Es ergab keinen Sinn. Es sei denn, ihr Vater hätte das nur erfunden, um Ivos Gedanken von ihr abzulenken. Ja, so mußte es sein.
Aber da sagte ihre Mutter schon mit hoher fester Stimme: »Hört mich an, Ivo de Vescy! Diese Riesin von einem Mädchen bekommt keine Mitgift von Lord Henry, keinen Penny, hört Ihr? Sie geht zu de Bridgport nur mit dem Hemd auf dem nackten Leib. Ach, wußtet Ihr nicht, daß alle sie nur die Riesin nennen? Weil sie eine so lange Person ist, bar jeder Anmut, im Gegensatz zu ihrer süßen Schwester.«
Lord Henry starrte seine blaßgesichtige Frau an. Eine solche Leidenschaft hatte sie seit ihrer kurzen Hochzeitsnacht nie wieder gezeigt. Bedächtig nickte er und fügte hinzu: »Nun, junger Mann, entweder kehrt Ihr jetzt nach York zu Eurem Vater zurück, oder Ihr nehmt meine hübsche Tochter, wie meine Frau Euch gesagt hat, und unterzeichnet den Ehevertrag mit ihr, he?«
Doch Ivo war noch nicht am Ende. Einen Augenblick war Philippa sogar stolz auf ihn, denn er stellte die Fragen, die ihr selber auf der Zunge lagen. »Aber warum, my Lord? Und liebt Ihr, my Lady, denn gar nicht Eure Tochter? Ich will es an der nötigen Achtung vor Euch nicht fehlen lassen,
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