Die Stimme der Jägerin (German Edition)
an dem er in die Pubertät gekommen war, musste sich Unmengen Frauen (und wahrscheinlich auch so mancher Mann) bei seinem Anblick mit Angeboten geradezu überschlagen haben.
Und auch Claudia war nicht immun gegen seine ganz besonders potente Art von Alchemie.
Seit über drei Jahren hatte sie kein sexuelles Interesse oder Verlangen mehr gespürt. Sie hatte sich tatsächlich mit dem Gedanken abgefunden, dass dieser Teil ihres Lebens womöglich vorbei war, was es umso schockierender machte, dass ihre Sexualität jetzt in ihr Leben zurückkehrte – mit der Wucht eines brennenden Streichholzes, das in einen See aus Kerosin geworfen wird. Hitze durchflutete ihren Körper, und sein kleines Lächeln verriet ihr, dass er es wusste. Er musste an ihrem Geruch ablesen können, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte.
Und der letzte Tiefschlag: Er war so gottverdammt jung.
Gottverdammt.
Jung
.
Gütiger Jesus, selbst wenn sie berücksichtigte, dass er kein Mensch war, sondern ein Wyr, war sie doch ziemlich sicher, dass er etwa Mitte zwanzig sein musste.
Was hieß, dass sie gut und gern fünfzehn Jahre älter war als er.
Fünfzehn Jahre. Damit war sie rein biologisch alt genug, um seine Mutter sein zu können.
Sie wandte sich ab, wusste nicht, was sie mit ihren Händen anfangen sollte. Als sie auf ihre Finger hinabsah, stellte sie fest, dass sie zitterten. Sie ballte die Hände zu Fäusten, um das Zittern gewaltsam zu unterdrücken.
»Jackson sagte, du wärst in den Bars gewesen«, sagte er. Seine Stimme mit dem leisen Anflug eines Akzents war wie alles andere an ihm: tief und dunkel und sündhaft wie flüssige Schokolade.
Was war nur aus ihrer Abschirmung geworden, an der sie in den letzten Jahren so hart gearbeitet hatte? Sie war von der Wüstensonne und den Qualen eines Tiers abgetragen worden, und jetzt fühlte sich Claudia nackt und gefährlich verwundbar. Für einen Augenblick musste sie die Zähne zusammenbeißen, ehe sie antworten konnte.
»Ich habe dir – uns – etwas Zeit verschafft.«
»Wie?« Er war so leichtfüßig und leise, dass sie seine Bewegungen nicht einmal bemerkte, bis sie hörte, wie die Kühlschranktür geöffnet wurde. »Was dagegen, wenn ich mir was von dem Tee nehme?«
»Bedien dich.« Als sie sich geringfügig besser unter Kontrolle hatte, drehte sie sich zu ihm um. An den frisch verheilten Stellen war sein gewaltiger Rücken noch mit blassen Narben überzogen, und die Schatten des Muskelspiels liefen über seine Haut, als Luis den Deckel von der Teeflasche schraubte und den Kopf zum Trinken in den Nacken legte. Bestimmt war seine Haut warm. Claudia fragte sich, ob sie so seidig war, wie sie aussah, und musste die Augen vor diesem Anblick verschließen. Dann fiel ihr wieder ein, dass er ihr eine Frage gestellt hatte, und sie sagte: »Ich habe die Aufmerksamkeit von Bradshaw Junior und Konsorten auf mich gelenkt.«
Im nächsten Augenblick spürte sie, wie sich seine Hände um ihre Schultern schlossen. Gott, er war so schnell. Seine Hände waren groß und stark. Hätte jemand anderes sie auf diese Art gepackt, hätte sie ihn zu Boden geworfen, doch in diesem Fall tat sie es nicht. Stattdessen öffnete sie die Augen.
Er sah angespannt aus, in seinem dunklen Blick lag Besorgnis. »Was haben sie getan?«
»Sie haben einen Plan geschmiedet, dich holen zu kommen«, sagte sie. »Ich hatte schon befürchtet, dass sie so etwas vorhaben könnten. Der Sandsturm war in die Stadt gezogen, die Telefonleitung war unterbrochen, und du warst so schwer verletzt, dass du nicht transportfähig warst. Ich hatte keine Ahnung, dass Jackson so innovativ sein würde, einen Heiltrank aufzutreiben. Also habe ich dafür gesorgt, dass ich mit ihnen allein war, und ihnen ein paar Knochen gebrochen.«
»Ein paar Knochen gebrochen?«, fragte er mit ausdrucksloser Miene.
Sie lächelte. »Vor Tagesanbruch müsste sie jemand finden. Wenn sie nicht schon auf dem Weg in die nächste Notaufnahme sind, werden sie es bald sein. Luis, die Kerle sind außer Gefecht. Das wird die Aufmerksamkeit von Bradshaw Senior erregen, was die Lage auf lange Sicht verschlimmern dürfte, aber ohne Handyempfang und Festnetz wird ihm jemand die Nachricht persönlich überbringen müssen. Ich gehe auch davon aus, dass Rodriguez früher oder später hier auftauchen wird, aber das hielt ich für einen angemessenen Preis dafür, dass du, Jackson und seine Poker-Kumpel heute Nacht in Sicherheit seid. Ich würde mich nicht allzu sehr entspannen,
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