Die Weltenwanderer
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1
Schneeregen prasselte, weder Mond noch Sterne konnten die Wolkendecke durchbrechen, und Sturm bog die kahlen Linden der Allee. Zwei Mal schlug eine ferne Turmuhr.
Ein schwarzer Lieferwagen fuhr auf den Randstreifen und hielt.
Aeneas van Rhyn stieg aus, klappte den Kragen der Lederjacke hoch, eilte auf ein Eisentor zu und spähte zwischen den Stäben hindurch. Hinter zwei ebenerdigen Fenstern im rechten Flügel der Villa brannte Licht. Vierarmige Laternen erhellten den breiten Kiesweg zur Freitreppe und große Teile des Rasens.
Er ging an der annähernd drei Meter hohen Mauer entlang, bis er sicher war, sich außerhalb der Lichtkegel zu befinden, wenn er im Garten landete.
Zwei Schritte Anlauf, ein Sprung, ein Fuß an der Mauer ... und seine Hände umklammerten den Sims. Mühelos zog er sich hoch, ließ sich auf der anderen Seite auf die Füße fallen und lief zum Haus. Er wählte ein Fenster an der linken Giebelseite, strich über den Rahmen und drückte es auf. Geräuschlos stieg er ein, schloss das Fenster und fand sich in einer Küche wieder. Geschirr stapelte sich auf der Spüle. Kartons vom italienischen Lieferservice lagen verstreut. Es roch nach Thunfischpizza. Vorsichtig öffnete er die Tür und schlich auf den Flur.
Er hörte neben leiser Volksmusik, die Stimmen von drei Männern und verharrte.
»... spinnst doch! Bei meiner Größe bräuchte ich für ’nen Ferrari einen Schuhanzieher. Was sollen wir mit einer Karre, bei der das Ein- und Aussteigen länger dauert als die Fahrt ins Zentrum?«
Gelächter war zu hören, dann die Aufforderung: »Lotz, hör auf mit dem Unsinn! Hol lieber noch ’ne Runde Bier!«
Ein Brummen folgte und ein unwirsches: »Nur, weil ihr nichts von Autos versteht. Das nächste Mal gehst du.«
Van Rhyn wich zurück in die Küche, stellte sich hinter die geöffnete Tür, zog diese jedoch nicht vor sich.
Wuchtige Schritte ließen die Dielen knarren. Ein kahlköpfiger Hüne tänzelte fingerschnippend zum Flaschenschrank.
»Bab, bi, di, du, hör mir nur zu! Di, bi, di, da, ...«
Sein Blick fiel auf nasse Fußspuren. Er fuhr herum, sah vor sich einen jungen, in Schwarz gekleideten Mann, hörte ein leises »Schlaf gut.« und sackte zusammen.
Aeneas fing den Körper auf, ließ ihn zu Boden gleiten, schnappte sich zwei Bier und ging erneut auf den Flur. Diesmal störte es ihn nicht, dass die Flaschen aneinander schlugen. Zielsicher suchte er das beleuchtete Zimmer auf.
»Da ko...« Ein rothaariger Mann verschluckte sich und schoss vom Stuhl hoch. Er stand nicht ganz, da wurde er schon von unsichtbarer Macht durch den Raum gegen die Holzvertäfelung geschleudert. Im Schwall stieß er Luft aus und rutschte an der Wand zu Boden, wo er in sichtbar unbequemer Stellung liegen blieb. Ob er sich jemals wieder daraus erheben würde, war nicht zu erkennen.
So schnell war es gegangen, dass sein hagerer Kamerad es lediglich geschafft hatte, ebenfalls aufzuspringen. Jetzt hatte er bereits van Rhyns Aufmerksamkeit und leckte sich die Lippen.
»Guten Abend!«, grüßte Aeneas, stellte das Bier ab und ließ die Blicke durchs Esszimmer huschen: über Holzwände, die Geweihe zierten, klobige Eichenmöbel und den Tisch mit Pizzaresten neben leeren Flaschen.
Der Hagere setzte sich wieder, während er zu seinem Gefährten sah. »Ist er tot?«
»Ich denke, nicht.«
Sein Gegenüber knurrte mürrisch: »Ihr geht mir mit eurer aufgesetzten Ehrenhaftigkeit allmählich ganz schön auf die Nerven. Schon Cattos musste ich euretwegen verlassen. Warum mischt ihr euch überall ein? Wisst ihr mit eurer Zeit nichts anzufangen?«
Van Rhyn öffnete die Jacke, verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte. »Solange wir euch Marú immer wieder einfangen müssen, sind wir hinreichend sinnvoll beschäftigt. Außerdem wollen die Eigentümer ihr Haus zurück. Kommst du freiwillig mit?«
»Ich bin der neue Besitzer, hab die Hütte beim Poker gewonnen.«
»Hast du nicht. Du hast den armen Teufel lediglich glauben lassen, er hätte um alles gespielt und verloren. Außerdem ist Glücksspiel hier illegal.«
Der frischgebackene Hausbesitzer zuckte die Achseln und seufzte: »Und wenn schon! Glaub mir, er wird nicht zur Polizei gehen. Dafür habe ich gesorgt. Den Klügeren oder Stärkeren gehört die Welt. Nichtskönner haben nichts verdient, vor allem nicht euren Schutz.«
Van Rhyn sah, wie der die Blickrichtung leicht änderte, hörte ein Knarren hinter sich und hechtete zur Seite.
Der erste Blitz,
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