Die Stimme des Wirbelwinds
übereinander und fragte sich, ob irgendwo ein Telefon für ihn klingelte. Steward stellte sich das Geräusch eingehend vor. Ich komme hin, dachte er. Ich komme ans Zentrum heran. Die Patrone in seiner Gesäßtasche grub sich in sein Fleisch. Er ignorierte es und trank noch einen Schluck. Lichter tropften durch einen Dunstschleier aus aufsteigender Luft. Wind regte sich hoch oben in den Pinien, schaffte es jedoch nicht, die Haare auf seinem Kopf zu bewegen. Der Wind klang wie eine Million jubelnder Menschen, die in einem dunklen, riesigen Stadion um ihn herum saßen. Ihr Jubel galt der Person, zu der er wurde.
Unrasiert, ungewaschen und nach Wacholderschnaps stinkend hatte er am Morgen einige Schwierigkeiten, in die Stadt mitgenommen zu werden. Er hatte unter einer Decke aus Zweigen auf Nadeln geschlafen, und Piniensaft klebte in seinen Haaren und machte Flecken in seine Kleidung. Er füllte seine leere Flasche mit Quellwasser und trank es, während er den Weg zum Krankenhaus größtenteils zu Fuß zurücklegte.
Er konnte Dr. Ashrafs Stimme im Geräusch der Klimaanlage in seinem Zimmer murmeln hören. Sie protestierte. Befahl ihm, zu vergessen, was er zu wissen glaubte, was ihm etwas bedeutete, wie er dachte. Erklärte ihm, er müsse sein eigenes Leben leben, ohne Bezug auf eine deformierte, verkrüppelte Vergangenheit.
»Sie können mich, Doc«, sagte er laut. »Die haben Sie mit einem Messer in Stücke geschnitten, und ich wette, sie haben Ihnen nicht mal gesagt, warum.«
Wenn du die unverstellte Wahrheit finden willst, sagte er sich, mach dir keine Sorgen um Recht oder Unrecht. Konflikte mit Recht und Unrecht sind eine Krankheit der Seele.
Das älteste Zen-Gedicht. Er mochte seinen Klang.
Er rief Ardala bei der Arbeit an und erzählte ihr, daß er das Krankenhaus verlassen würde.
»Was war gestern los bei dir? Ich hab' dich angerufen. Wieder die Polizei?«
»Kann ich bei dir bleiben, bis ich Arbeit finde?«
Sie lachte. »Warum nicht? Komm vorbei, dann geb' ich dir den Schlüssel.«
»Danke. Ich komme in ein paar Minuten.«
Steward duschte, zog sich um und packte. Seine Habseligkeiten füllten eine kleine Sporttasche. Er stellte die Tasche aufs Bett und sah sich ein letztes Mal im Zimmer um. Als sein Blick auf das Video fiel, leuchteten seine Augen auf, und er zögerte. Seine Hand fuhr unwillkürlich an seine Gesäßtasche und fühlte die Konturen der Videopatrone durch den steifen Jeansstoff.
Töte den Buddha, dachte er.
Er steckte die Patrone in das Videogerät und drückte die Löschtaste. Er dachte an die Füllung der Patrone, die aus Legierungsfäden mit variablen Gittern bestand, auf deren molekularer Struktur das Video kodiert war, und stellte sich dann vor, wie sie sich allesamt veränderten, wie die Botschaft verschwand und zu Nichts wurde. Als er auf die leere Oberfläche des Geräts schaute, kam es ihm so vor, als ob sein Spiegelbild ein Geheimnis mit ihm teilte.
Der Empfangschef war überrascht, als Steward ihm erklärte, daß er das Krankenhaus verließe. »Ihre Behandlung ist noch nicht abgeschlossen«, sagte er.
»Ich bin nicht krank. Ich hab' mich auf die Realität eingestellt.« Steward kreuzte die Hände über dem Herz. »Ehrlich.«
»Aber es ist alles schon bezahlt.«
»Vielleicht komme ich später zurück. Wenn ich's nicht schaffe.«
Er unterschrieb ein Formular, das ihm die Verantwortung für sich selbst übertrug, und fügte seinen Daumenabdruck hinzu. Bevor er die Eingangshalle verließ, griff er nach dem Armband an seinem linken Handgelenk, hakte zwei Finger darunter und zog. Es dehnte sich wie Pfefferminzlakritze, dann riß es. Er warf es in einen Aschenbecher und trat auf die Straße hinaus.
Um ihn herum brodelte der Lärm. Mittagshitze. Wirklichkeit wurde von strahlendem Spiegelglas reflektiert.
Steward fühlte sich ganz zu Hause.
3
Steward ließ die ausführlichen Sicherheitsmaßnahmen vor der Tür der Wohnöko über sich ergehen und trug sich als Gast ein, ein Vorgang, zu dem der Daumenabdruck auf einer Vereinbarung gehörte, in der er bestätigte, daß er sich nach den Vorschriften der Verfassung der Wohnöko richten würde. Diese beruhte wie üblich auf dem Konzept der ›selbstbegrenzenden Optionen‹; soweit Steward wußte, war damit gemeint, daß die Bewohner sich einverstanden erklärten, nicht über einvernehmlich festgelegte Aspekte der Realität nachzudenken, die sich als störend erweisen konnten. Die Vorschriften hier waren ziemlich liberal,
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