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Die Stimme des Wirbelwinds

Die Stimme des Wirbelwinds

Titel: Die Stimme des Wirbelwinds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Jon Williams
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unsichtbaren Schmutzfleck zwischen ihren Augenbrauen. »Ist der Raum sowas Tolles?« fragte sie und hielt ihm ihre Zigarette hin.
    »Dort gibt's so manches.« Dort sind die Antworten, dachte er.
    Sie sah ihn an. »Zum Beispiel Natalie?«
    Steward antwortete nicht. Er nahm die Zigarette und tat einen tiefen Zug, hieß die Invasion von THC und Karzinogenen willkommen. Xanadus gehörten zum Übelsten auf der Welt, was es zu rauchen gab, weil das Drinbehalten des Marihuanarauchs dem Tabak Zeit gab, das Lungengewebe zu zerstören. Die Canards hatten die Xanadus gerade aus diesem Grund geliebt. Typisch für sie.
    Ardala seufzte. »Okay«, sagte sie, »ich hab' einiges Material in meinem Büro. Es wird dir helfen, wenn du für die Tests lernst. Vielleicht hast du Glück und eignest dich zum Müllbeseitigungstechniker auf Ricot.«
    Der Name des künstlichen Planetoiden schickte einen kalten Schauer durch Stewards Nerven.
    »Ricot ist in Ordnung«, sagte er. Dort gab es Antworten.
     
    Nachdem Ardala am nächsten Morgen gegangen war, stemmte Steward im Gesundheitsclub der Wohnöko Gewichte, duschte, zog sich an und stellte fest, daß er keine Lust hatte, allein zu frühstücken. Die Coffee Shops in der Wohnöko gefielen ihm nicht: zuviel fleckiges Holz, Schalldämpfung, geschmackvolle Musik und konservativ gekleidete Fachleute, die jene Art Scan-Blätter lasen, die von der Verfassung nicht verboten waren. Er ging nach Norden in die Altstadt und fand einen Coffee Shop mit einem kaputten holographischen Schild, auf dem DAS FREUNDL CHST REST RANT IN DER STAD stand. Die Nischen waren mit leuchtend orangerotem Jupiterplastik gepolstert, und die Kellnerin war eine übergewichtige Frau, die ihn mit einem finsteren Blick empfing.
    Nach dem Essen rauchte er eine Xanadu zu seinem Kaffee und sah zu, wie die finster dreinschauende Kellnerin mit einem weiblichen chinesischen Gast aneinandergeriet, der die Meinung vertrat, ihr gebratenes Hühnersteak sollte irgendwas mit Huhn zu tun haben. Die Chinesin dachte, daß sie betrogen wurde, aber ihr Englisch war der Aufgabe, ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen, nicht gewachsen.
    Steward lehnte sich in seiner Nische zurück und grinste. Als er zum ersten Mal in die Vereinigten Staaten gekommen war, hatte er den gleichen Fehler gemacht.
    Das Problem löste sich mit dem Erscheinen des Managers, und Steward trank seinen Kaffee aus. Er unternahm einen Spaziergang durch die Altstadt und sah sich die mitgenommenen alten Ladenfronten und die Leute an, alte Männer, die Lotterielose und Scan-Blätter verkauften, junge Ganoven, die T-Shirts mit Flüssigkristall-Displays trugen, die für ihr Produkt warben: Software, Literatur, die man in den Wohnökos nicht bekommen konnte, Drogen. Steward erinnerte sich an Szenen aus Marseille, daran, daß die Straße dort intensiver und die Dealerei gefährlicher gewirkt hatte – selbst die Farben waren ihm leuchtender vorgekommen. Er spürte, daß diese Leute hier nur routinemäßig bei der Sache waren; sie bedeutete ihnen nichts. Amerika hatte seit hundert Jahren keinen Krieg mehr erlebt. Diese Leute hatten nicht monatelang am Rand des Verhungerns gelebt; sie hatten nicht dealen müssen, um zu überleben. Sie hatten nicht Petit Galop durchgemacht.
    Amerika wurde langsam alt, dachte er. So wie der Rest der Erde. Es saugte Moden auf, die aus dem Raum mitgebracht wurden, Lebensstile – Wohnökologien, Ideologien –, die Nachahmungen der Art und Weise waren, wie die Menschen im Vakuum lebten. Stewards olivbraune Haut war in Mode, weil olivbraune Haut für diejenigen, die in Kulturen lebten, in denen sie nie das Sonnenlicht sahen, eine interessantere Struktur hatte, und starkes Make-up war aus demselben Grund modern. Die Erde hatte ihr Pulver verschossen. Jetzt war es der Raum, wo sich die wichtigen Dinge abspielten, ob einem das paßte oder nicht.
    Er kaufte sich ein Scan-Blatt, ging in einen der Wildnisparks, die die Stadt durchzogen, und setzte sich auf einen grasbewachsenen Hang. Im hellen, wolkenlosen Himmel konnte er ein Muster von Fixsternen, Orbitalfabriken und Wohnsatelliten sehen. Er wußte, daß einer davon der Orbitalkomplex war, wo Natalie jetzt lebte. Er fragte sich, welcher Stern ihrer war, wie sie jetzt aussah, nachdem fünfzehn Jahre vergangen waren, Jahre, die er nicht miterlebt hatte. Er fühlte den aufsteigenden Schmerz in seinem Hals und seiner Nase und senkte die Augen auf die Straße. Traurigkeit fiel wie Regen auf ihn herab.
     
    »Und wie bist

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