Die Straße in die Stadt
Vielleicht bin ich schwanger‹, dachte ich, ›Was soll ich jetzt machen?‹ Ich blieb stehen. Das Land rund um mich war still, ich sah die Stadt nicht mehr, unser Haus sah ich noch nicht und stand allein auf der leeren Straße mit diesem Schrecken im Herzen. Es gab Mädchen, die in die Schule gingen und im Sommer ans Meer fuhren, tanzten, untereinander über Dummheiten scherzten. Warum war ich nicht eine von ihnen? Warum war mein Leben nicht so?
Als ich in meinem Zimmer war, zündete ich mir eine Zigarette an. Aber diese Zigarette schmeckte scheußlich. Mir fiel ein, daß auch Azalea nicht rauchen konnte in der Zeit, als ihre Kinder geboren werden sollten. So ging es mir jetzt. Bestimmt war ich schwanger. Wenn mein Vater es erfahren hätte, hätte er mich umgebracht. ›Besser so‹, dachte ich, ›sterben. Dann ist es für immer vorbei.‹
Doch am Morgen stand ich ruhiger auf. Die Sonne schien. Zusammen mit den Kleinen pflückte ich die Trauben in der Pergola. Dann ging ich mit Giulio im Dorf spazieren. Es war Jahrmarkt, und Giulio kaufte mir ein Halskettchen mit einem Talisman als Anhänger. Ab und zu überfiel mich jener Schrecken, aber ich schob ihn fort von mir. Ich sagte Giulio nichts. Es machte mir Spaß, den Jahrmarkt zu sehen, die Leute, die herumschrien, die Hühner in den hölzernen Käfigen, die Kinder, die Trompete spielten. Mir fiel ein, daß Nini böse auf mich war, und ich dachte, daß ich zu ihm gehen wollte, um wieder Frieden zu schließen.
Jener Tag war ein Feiertag, und ich mußte nicht zu der Alten. Auch Nini ging nicht in die Fabrik. Ich traf ihn, als er gerade aus dem Café kam. Er war nicht mehr böse und fragte mich, ob ich etwas trinken wolle. Ich verneinte, und wir gingen zum Fluß.
»Schließen wir Frieden«, sagte ich zu ihm, als wir uns gesetzt hatten.
»Schließen wir ruhig Frieden. Aber nachher muß ich zu Antonietta.«
»Und ich kann nicht mitkommen? Ist Antonietta immer noch so wütend?«
»Ja. Sie sagt, du hast dich nie bedankt bei ihr für das, was sie für dich getan hat. Und außerdem ist sie eifersüchtig.«
»Eifersüchtig auf mich?«
»Ja, auf dich.«
»Das freut mich aber.«
»Natürlich freut es dich, du häßlicher Affe. Du genießt es, jemanden leiden zu lassen. Und jetzt müßte ich wirklich gehen. Aber ich habe keine Lust dazu.« Er lag im Gras, mit unter dem Kopf verschränkten Armen.
»Bist du gern mit mir zusammen? Lieber als mit Antonietta?«
»Viel lieber«, sagte er zu mir, »viel, viel lieber.«
»Warum?«
»Ich weiß nicht, warum, aber es ist so«, antwortete er.
»Ich bin auch gern mit dir zusammen. Lieber als mit allen anderen«, sagte ich.
»Lieber mit mir als mit Giulio?«
»Lieber mit dir.«
»Oh, wie kommt das denn?« sagte er und lachte.
»Ich weiß es wirklich nicht«, sagte ich. Ich fragte mich, ob er mich erneut küssen würde. Aber an jenem Tag gingen sehr viele Leute vorbei. Auf einmal sah ich Giovanni und Antonietta, die auf uns zukamen.
»Ich war mir sicher, sie hier zu finden«, rief Giovanni. Doch Antonietta blickte mich kalt an und sagte nichts zu mir. Nini erhob sich träge, und wir gingen mit ihnen in der Stadt bummeln.
Am Abend sagte Giovanni zu mir:
»Du bist schon ein seltsamer Typ. Jetzt hat dich die Nini-Manie gepackt, und du bist immer mit dem Nini zusammen, klebst am Nini, und man findet dich immer bei ihm.«
Es stimmte, daß ich immer mit Nini zusammen war. Ich holte ihn jeden Abend von der Fabrik ab. Ich wartete auf nichts anderes als auf diesen Augenblick. Es gefiel mir, mit ihm zusammenzusein. Wenn wir zusammen waren, vergaß ich das, wovor ich Angst hatte. Es gefiel mir, wenn er redete, und es gefiel mir, wenn er schwieg und an seinen Fingernägeln kaute, während er an etwas dachte. Ich fragte mich immer, ob er mich küssen würde, aber er küßte mich nicht. Er saß entfernt von mir, zerwühlte und glättete seinen Haarschopf und sagte:
»Geh jetzt nach Hause.«
Doch ich hatte keine Lust, nach Hause zurückzukehren. Ich langweilte mich nie, wenn wir zusammen waren. Es gefiel mir, wenn er mir von den Büchern erzählte, die er immer las. Ich verstand nicht, was er sagte, aber ich tat so, als verstünde ich, und nickte mit dem Kopf.
»Ich möchte wetten, daß du nichts verstehst«, sagte er und gab mir einen Klaps auf die Wange.
-
E
ines Abends wurde mir schlecht, während ich mich auszog. Ich mußte mich aufs Bett legen und warten, bis es vorüber war. Ich war ganz naßgeschwitzt und
Weitere Kostenlose Bücher