Das verborgene Feuer
Prolog
Der Mann stahl sich den Gang hinunter, und seine Schritte waren nur als leises Echo in dem schwach beleuchteten Keller der Bibliothek zu hören. Er bewegte sich ruhig vorwärts und strich sich das dunkle Haar aus der Stirn, das ihm in die Augen fiel, sobald er zu Boden sah. Der Wächter vom Sicherheitsdienst bog um die Ecke, und sein Blick fiel auf die große Gestalt, die ihm entgegenkam.
»Sir?«
Der Wachmann neigte den Kopf zur Seite, trat ein paar Schritte im zitternden Licht seiner Taschenlampe vor und versuchte, das Gesicht des Fremden trotz der Haare zu erkennen.
»Sir, suchen Sie die Eingangshalle? Sie dürfen sich hier unten nicht aufhalten.«
Der andere antwortete nicht, sondern kam weiter auf den beleibten Wächter zu. Im Vorbeigehen strich er ihm flüchtig mit den Fingerspitzen über den Unterarm und verschwand um die Ecke und die nächste Treppe hinauf, ohne sein Tempo zu verlangsamen.
Der Dicke blieb einen Moment reglos stehen, schüttelte dann den Kopf, blickte sich um und fragte sich, warum er sich in dem Gang zu den alten Lagerräumen befand. Er schaute auf die Uhr, ob seine Pause um war, und stellte fest, dass der Minutenzeiger stehen geblieben war. Er schüttelte die Uhr ein wenig, nahm sie ab und steckte sie in die Tasche.
»Dummes, billiges Ding …«, brummte er, kehrte zum Pausenraum zurück und meinte, hoch oben im Treppenhaus eine Tür schließen zu hören.
Der Mann wartete am Freitagabend zwischen verlassenen Bücherregalen in der Nähe der Computer, las eine Zeitschrift und beobachtete dabei den Lesesaal. Sein plötzlich scharf gewordener Blick glitt nach links auf das reizlose blonde Mädchen, das sich ganz außen an einen Monitor setzte. Er sah sie ein Lehrbuch der Volkswirtschaftslehre aus der Tasche ziehen und verstohlen einen Schluck Cola light nehmen. Sein Mundwinkel hob sich, denn es freute ihn, wie wenig Aufmerksamkeit das Mädchen bei der Bibliothekarin hinter ihrem Tresen und bei den Studenten ringsum erregt hatte.
Er näherte sich ihr, nahm seine lederne Umhängetasche über die andere Schulter, um sich an den PC neben dem Mädchen setzen zu können, zog auch eine Flasche heraus, lächelte höflich, als das Mädchen ihn ansah, und stellte fest, dass sie errötete, als sie seinen blassen Teint, seine umwerfend grünen Augen und seine dunklen Locken bemerkte.
»Hallo«, flüsterte er und wandte sich kurz zur Seite, um seine Tasche abzustellen.
»Hi«, wisperte sie zurück.
»Sind die Bibliothekare sehr streng, wenn man seine Trinkflasche auf den Tisch stellt? Ich bin neu an der Uni.« Er beugte sich vor, und ihr Fruchtshampoo stach ihm in die Nase, doch er wich nicht zurück, als sie antwortete.
»Hm … an den Regalen nicht, aber bei den PC s wird das ungern gesehen«, erwiderte sie und knetete dabei ihre Hände im Schoß.
Als er lächelte, errötete sie noch stärker und sah auf ihr Lehrbuch, das noch immer geschlossen vor ihr lag. Sie öffnete es umständlich und warf dabei einen Blick auf die Tasche zu seinen Füßen.
»Danke«, sagte er.
»Sind Sie Student?«
Lächelnd flüsterte er zurück: »Ich habe hier an der Uni gerade mit einer Forschungsarbeit begonnen.«
»Cool. Ich bin Hannah. Drittes Semester … Wirtschaftswissenschaften.«
»Ein faszinierendes Fach, Hannah.« Er wollte ihr in die Augen schauen, doch sie sah blätternd in ihr Lehrbuch.
»Ach«, sagte sie lachend, »Sie brauchen nicht nett zu sein. Ich weiß, dass sich kaum jemand für Volkswirtschaft interessiert.«
»Ich interessiere mich für alles«, gab er zurück und befahl ihr im Stillen, aufzusehen. Als sie das tat, legte er den Ellbogen neben ihr Lehrbuch, griff mit der rechten Hand zu ihr hinüber und berührte sie beim Reden leicht am Unterarm. »Sind Sie eine gute Studentin, Hannah?«
Sie sah ihm gebannt in die Augen und merkte gar nicht, dass sich ihr alle Haare sträubten – so sehr war sie von dem Mann neben ihr angezogen.
»Ja, ich bekomme sehr gute Noten.«
»Und warum sind Sie an einem Freitagabend hier?«
»Ich habe nicht viele Freundinnen, und Jungen wollen sich nie mit mir treffen. Ich komme gern hierher, um nicht allein in meinem Zimmer im Studentenwohnheim sein zu müssen.«
»Haben Sie Zeit, mir zu helfen?«
»Ja – ich muss im Moment nichts Dringendes für die Uni erledigen.«
»Prima.« Der Mann beugte sich noch weiter vor, und kaum hatte er der jungen Frau etwas ins Ohr gemurmelt, da schaltete sie schon den Computer an, öffnete eine Suchmaschine und
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