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Die Straße in die Stadt

Die Straße in die Stadt

Titel: Die Straße in die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalia Ginzburg
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einzustehen, wenn es nur keinen Skandal gebe, und er hat mich gefragt, ob er mir ein Gläschen anbieten dürfe. Aber die Mutter hat sich benommen wie im Irrenhaus. Sie hat sich auf den Sohn gestürzt, daß es aussah, als wollte sie ihn umbringen. Sie krähte wie ein Hahn. Aber ich habe keine Angst bekommen. Ich habe zu ihr gesagt: ›Meine Tochter ist erst siebzehn, es gibt ja das Gericht, das wird sie schützen‹. Die Alte ist blaß geworden, hat sich hingesetzt und stumm ihre Ärmel glattgestrichen. Der Sohn stand da mit gesenktem Kopf und hat mich nicht einmal angesehen. Nur der Doktor redete. Er hat mir gesagt, um Himmels willen, bloß keine Skandale, wegen seiner Position. Und dabei ging er auf dem Teppich hin und her. Wenn du sehen könntest, was für Teppiche sie haben. Wenn du das Haus sehen würdest. Es ist ein schönes Haus. Sie haben alles da drin.«
    Doch ich wandte den Kopf ab, wie um zu schlafen, damit sie ginge.
    Zuletzt schlief ich wirklich ein und erwachte, als mein Vater nach Hause kam. Ich spitzte die Ohren und hörte, daß er im Schlafzimmer mit meiner Mutter sprach, dann hörte ich ihn plötzlich schreien. »Jetzt kommt er und bringt mich um«, dachte ich. Aber er kam nicht. Statt dessen kam Giovanni.
    »Der Nini läßt dir ausrichten, warum du ihn gestern nicht abgeholt hast und daß er dich heute erwartet«, sagte er zu mir.
    »Ich liege im Bett, siehst du das nicht«, erwiderte ich, »es geht mir nicht gut.«
    »Du wirst Scharlach haben«, sagte er zu mir, »alle haben sie Scharlach. Die Kinder von Azalea haben’s bekommen. Und du wirst jetzt auch ein Gesicht wie eine Erdbeere kriegen.«
    »Ich habe kein Scharlach«, sagte ich zu ihm, »ich habe was anderes.«
    Doch er stellte keine Fragen. Er blickte durch die Scheiben hinaus und sagte:
    »Wohin geht der denn?«
    Ich trat ebenfalls ans Fenster und sah meinen Vater auf das Dorf zugehen.
    »Wohin geht er? Er hat noch nicht einmal gegessen«, sagte Giovanni.
    Gegen Abend kam Azalea. Sie trat mit meiner Mutter ins Zimmer.
    »Weißt du, daß wir im Mai ein schönes Kind bekommen werden?« sagte meine Mutter zu ihr.
    Sie antwortete nicht und setzte sich finster, während sie den Fuchs von den Schultern abnahm.
    »Mama quatscht viel«, sagte sie zu mir, als wir allein waren, »es ist überhaupt nicht sicher, daß du heiratest. Papa ist hingegangen, und sie haben ein irres Theater gemacht, es fehlte nicht viel, und sie hätten sich totgeschlagen. Sie haben Geld angeboten, damit Papa schweigt und du deinen Balg woanders zur Welt bringst, und mit der Heirat, das wird man sehen, das wird man sehen, sagten sie. Papa hat angefangen zu schreien, sie hätten ihn entehrt und er würde zum Gericht gehen, wenn Giulio nicht schwören würde, daß er dich heiratet. Er ist zu mir gekommen und war völlig fertig. Ich hab’s dir ja gesagt, daß es so ausgeht. Jetzt wirst du die ganze Zeit im Haus bleiben müssen, weil die Leute im Dorf schon angefangen haben zu tuscheln. Sie wissen nichts, aber sie riechen, daß irgendwas ist. Viel Vergnügen, meine Liebe.«
    Am Abend kam erneut Giovanni. Auch er hatte jetzt alles kapiert und sah mich boshaft an. Er sagte zu mir:
    »Der Nini weiß noch nichts von dir.«
    »Ich will nicht, daß du es ihm sagst«, sagte ich.
    »Sei ganz ruhig, ich sag’s ihm nicht«, erwiderte er, »glaubst du etwa, es machte mir Spaß, deine Heldentaten weiterzuerzählen? Da hast du dich schön in die Tinte gesetzt. Wer weiß, ob er dich heiratet. Es heißt, er sei schon verlobt. Meinetwegen, mir ist es egal. Geh zum Teufel, du mit deinem Balg.«
    Ich setzte mich auf und warf ein Glas nach ihm, das auf dem Nachttisch stand. Er fing an zu schreien und wollte mich verprügeln, aber meine Mutter kam. Sie packte ihn am Jackett und zog ihn fort.
    Meine Mutter wollte nicht, daß ich in die Küche oder die unteren Räume hinunterkam, aus Angst, daß mein Vater mich dort finden könnte. Ich erfuhr von Giovanni, daß mein Vater geschworen hatte, wenn ich ihm unter die Augen käme, würde er nicht mehr nach Hause kommen. Aber ich hatte gar keine Lust, mich aus meinem Bett zu rühren. Morgens streifte ich mein Kleid über, um nicht zu frieren, zog die Strümpfe an und streckte mich, in die Decke gewickelt, wieder auf dem Bett aus. Es ging mir schlecht. Mit jedem Tag, der verstrich, wurde es schlimmer. Meine Mutter brachte mir auf einem Tablett das Mittagessen, aber ich aß nichts. Eines Abends warf Giovanni mir einen Roman zu:
    »Den schickt dir der

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