Die Straße in die Stadt
Geld hatte. Es gab Tage, an denen es mir nicht gelang, die Langeweile zu verjagen, und dann begann ich zu warten, daß jemand käme. Meine Mutter besuchte mich fast nie, weil sie zu tun hatte und auch weil sie zu schlecht gekleidet war, um sich in der Stadt zu zeigen. Sie war nun nicht mehr so zufrieden über meine Hochzeit und hatte mit Giulio gestritten, als sie ihn gebeten hatte, ihr Geld zu leihen, und er es abgelehnt hatte. Das hatte meine Mutter ihm nicht verziehen und schmollte auch mit mir.
Eines Tages kam Azalea, die soeben vom Meer zurückgekehrt war, und sie trug Sandalen und ihre Nase schälte sich. Aber sie war traurig, weil es nicht mehr so gut lief mit ihrem Geliebten und er wahnsinnig eifersüchtig war und nicht wollte, daß sie tanzen ginge, und sie immerzu zankten.
»Wie geht’s deinem Kind?« sagte sie.
Ich fragte, ob sie es sehen wolle, aber sie sagte, ihre eigenen Kinder genügten ihr, und als sie noch ganz klein waren, hätte sie sich immer vor ihnen geekelt.
»Wie geht’s mit deinem Mann«, sagte sie zu mir. »Du hast ganz recht gehabt, ihm nicht seinen Willen zu lassen, denn wenn er dich zu seiner Mutter gesteckt hätte, hättest du was erleben können und keinen Pfennig mehr gesehen. Mit den Männern muß man immer machen, was man will, denn wenn man so dumm ist nachzugeben, nehmen sie dir auch noch die Luft weg, die du atmest.«
Am nächsten Tag brachte sie ihre Schneiderin mit, obwohl ich ihr erklärt hatte, daß sie noch nicht Maß nehmen könne, weil ich mich nicht aus dem Bett bewegen durfte. Doch Azalea versicherte mir, die Schneiderin sei nur mitgekommen, um mich kennenzulernen und mit mir darüber zu reden, was gerade Mode sei. Dann fing sie an zu drängen, ich solle aufstehen, ich hätte doch überhaupt nichts mehr und es gehe mir viel besser als ihr.
Als ich zum ersten Mal aufstand und einen rosa Morgenrock mit Schwan überzog, den Azalea sich ausgedacht hatte, fühlte ich mich glücklich, und während ich ganz langsam mit Giulio im Flur des Krankenhauses umherging, sah ich aus den großen Fenstern, die auf den Corso hinausgingen. Es hätte ja sein können, daß der Nini vorbeiging. Ich setzte mich vor die Fenster und blickte hinaus, ob ich ihn vorbeikommen sähe, dann hätte ich ihn gerufen und ihm gesagt, er solle mich besuchen, und wir hätten angefangen zu zanken und uns zu unterhalten. Jetzt hatte er mich bestimmt nicht mehr lieb, nachdem so viel Zeit vergangen war, und auch wenn er mich immer noch liebhatte, war es nicht richtig, sich nicht mehr zu sehen. Aber ich sah ihn nicht vorbeikommen und wurde von Schwermut erfaßt und stritt mit den Nonnen, weil sie wollten, daß ich wieder ins Bett ginge.
-
D
ie Wahrheit sagte mir Giovanni, als er mit einer kleinen Trompete als Geschenk für das Kind ankam, als hätte es schon darauf spielen können. Er hielt eine Ledermappe in der Hand und erzählte, daß er jetzt mit einem Tuchhändler arbeite und herumreise, um Stoffe anzubieten. Aber er hatte einen matten, erschrockenen Gesichtsausdruck, als habe er gerade eine böse Geschichte hinter sich, und fuchtelte beim Reden mit den Armen, ohne mich anzusehen, als verberge er etwas vor mir. ›Antonietta wird ihn verlassen haben‹, dachte ich. Ich fragte ihn, was geschehen sei.
»Nichts«, erwiderte er. Aber er ging weiter die Hände schüttelnd auf und ab und blieb plötzlich mit dem Rücken zu mir vor der Wand stehen. »Der Nini«, sagte er, »ist gestorben.«
Ich legte das Kind weg, das ich im Arm hielt.
»Ja, er ist tot«, sagte er und begann zu weinen, und ich sank kraftlos auf einen Stuhl, während mir der Atem stockte. Dann beruhigte er sich nach und nach und trocknete sein Gesicht und sagte, sie hätten ihm gesagt, ich dürfe es nicht wissen, weil es mir noch nicht sehr gut gehe, aber der Nini sei schon viele Tage tot. An einer Lungenentzündung sei er gestorben. Doch Antonietta sage, es sei meine Schuld. Sie behaupte, ich sei zu hartherzig, denn der Nini sei schon lange in mich verliebt gewesen, schon, als er noch mit ihr zusammen war, und ich hätte ihn so gequält und ihn immer wieder besucht, auch, als ich schon wußte, daß ich schwanger war und heiraten sollte. Da habe er den Kopf verloren und nur noch das Leben eines Verzweifelten geführt in diesem Zimmer, das aussah wie ein Schweinestall, nicht mehr geschlafen, nicht mehr gegessen und sich immer betrunken. Antonietta sage, wenn sie mich eines Tages zufällig träfe, würde sie mich vor allen
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