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Die Straße - Roman

Die Straße - Roman

Titel: Die Straße - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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gickelten jetzt aber, riefen vielleicht auch Sätze wie Ist das eklig , das hieß eigentlich, daß sie es jetzt besonders schön und spannend fanden, und dann zogen sie sich wieder an, legten die Bleistifte und Füllfederhalter, die sie benutzt hatten, auf den Schreibtisch zurück, damit auch mein Vater sie anschließend wieder benutzen konnte, und plötzlich waren sie wieder in der anderen Welt und hatten augenscheinlich von einer Minute auf die andere vergessen, was die Welt im ganz komplettenSinn eben noch gewesen war, nämlich ihr Vorne und ihr Hinten und ihr allgemeiner, zwingender Wunsch in der Mitte zwischen beidem als ihr Wesen in diesem Augenblick. Nun waren sie Mädchen, die unten im Wohnzimmer herumsaßen und fernsahen, und wenn die Eltern heimkamen und fragten, ob sie denn schön fernsähen, sagten sie ja, und es war nicht einmal eine Lüge. Jetzt waren die Kinder sogar ausnehmend ruhig und entspannt, ganz anders als sonst, wenn sie bei uns waren, und sie richteten nicht einmal ihr übliches Chaos an. Während der Spiele hatten sie noch atemlos gelauscht in ihren handwerklichen Verrichtungen, ob jemand komme, ob unten die Tür gehe, und alle waren darauf vorbereitet, binnen kürzester Zeit in ihre Höschen und Hosen und Pullis hineinzuspringen, denn sie hatten dafür nicht länger Zeit, als man von der Hauseingangstür in den oberen Stock brauchte, und dann noch den Flur entlang. Alles geschah wie auf Verabredung, plötzlich kam die erwartete Welle und überfuhr sie, dann waren sie einige Minuten so geschäftig wie sonst nie, zugleich lauschten sie, was ihnen noch mehr Freude machte, denn sie wußten ja wie gesagt alle, daß das, was sie taten, absolut verboten war. Dann verließ sie das Interesse plötzlich, ebenso auf Verabredung oder durch unausgesprochene Übereinkunft, und sie schlüpften in ihren anderen Zustand zurück, der von dem ersten Zustand nichtsmehr wußte. Es gab also zwei Welten. In der einen waren alle wie alle, in der anderen waren die einen anders als die anderen, da fehlte dann etwas und mußte erst einmal hineingesteckt werden, sei es zunächst auch nur, was man gerade zur Hand hatte. Hätte ich einem der Mädchen, wenn sie bei uns im Wohnzimmer saßen, gesagt, soll ich dir jetzt wieder hineinstecken, und wirst du dich ausziehen und dich wieder vor mich hinstellen und mir wieder deine Einsteckwünsche sagen und die betreffenden Gegenstände selbst in die Hand geben, hätte es mich angeschaut wie einen Bewohner vom Mars, der plötzlich auf der Erde erscheint und tatsächlich klein und grün ist. Sie zogen mir ja auch die Hose aus und inspizierten mich und wollten, daß ich mich zeige, wobei mir lange Zeit ja nicht ganz klar war, was sie da überhaupt sehen wollten, sie wollten zunächst nur bloß das Andere sehen, und daß für das Andere bzw. dessen Herzeigen in diesen Zusammenhängen meist der jüngere Bruder verantwortlich war, in allen Familien, wußte ich nicht. Es war ein alltägliches und ganz gewöhnliches Phänomen und wurde eigentlich erst nachträglich von mir mit jenem speziellen anderen Sinn gefüllt. Wäre ich nun also ins Wohnzimmer gegangen und hätte mich selbst ausgezogen und ihnen gezeigt, was sie sonst hatten sehen wollen, wären sie wieder in schreiendes Gekicher ausgebrochen und hätten gerufen Wie eklig! , aber das Gekicher wäre diesmal bloß herablassend und das Wie eklig! völlig ernst und eindeutig gemeint gewesen. Obgleich mein Verhalten ja nichts anderes dargestellt hätte als zu den anderen Zeiten, wenn die Welle kam und die gemeinsame Verabredung im Raum stand und sofortigen Vollzug verlangte. Ich weiß heute noch, wie sie alle hießen, und noch heute würde sich die Situation genauso ereignen, wenn ich sie fragen würde, ob ich denn in sie hineinstecken soll und welcher Gegenstand heute ihr Interesse hat, ob der Kleiderbügel oder der Filzstift. Zuerst hatten sie alles vergessen, und wenn sie sich später wieder daran erinnerten, steckten sie es in den Begriff Doktorspiele oder in einen artverwandten hinein und nannten es Entwicklungsstufe, hegten in diesem Begriff ihre Vergangenheit ein und vergaßen, daß sie selbst es waren. Als wären sie damals andere gewesen. Und heute sind sie immer noch dieselben, und sie tragen noch immer dieselben Namen, auch wenn ihr Kopf stets damit beschäftigt ist, schwarze Löcher zu schaffen, in die dann wiederum hineingesteckt wird, nur daß dieses Hineinstecken jetzt Vergessen heißt. Und sie waren damals nicht vier

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