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Die Straße - Roman

Die Straße - Roman

Titel: Die Straße - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Häusern und Wohnungen zusammen, in denen sie mit ihrer Familie zusammengepfercht waren wie Tiere in einem Stall. Die familiäre Enge der anderen stand in jähem Widerspruch zu meiner eigenen Familie. Dort war ich ja meist allein und konnte mich auch stets zurückziehen, was mir lange Zeit meiner Kindheit geradezu notwendig gewesen war. Dennoch suchte ich die anderen Häuser inzwischen aus einer Art Pflichtgefühl auf, vermutlich weil ich meinte, ich müßte mich daran gewöhnen, daß alles um mich herum anders war und alle in dieser gewissen Enge aufeinander herumhockten und das offenbar auch so wollten.
    Die für mich erträglicheren Häuser gehörten denen, deren Familienleben eher kaputt war und diesich schon weitgehend voreinander zurückgezogen hatten. Häuser mit Einzelkindern, Akademiker, Lehrer oder dergleichen. Wo sowieso eine düstere Stimmung herrschte und jene gewisse emotionale Leere, konnte ich besser atmen, und die dort lebenden Kinder waren auch eher so wie ich. Sie standen mehr für sich, ich konnte sie besser ansprechen, es geschah nicht alles nach einem bloßen Mechanismus. Man merkte, sie befanden sich nicht in natürlichen Zusammenhängen und waren darin aufgehoben, sondern sie orientierten sich selbst bzw. versuchten dies, weil sie mußten. Sie neigten zum Fragen und zum Zuhören. Und sie konnten sich im Regelfall mit sich selbst beschäftigen. Es umwehte sie überdies immer eine gewisse Traurigkeit. Beispiel: Jener H., schlank, ein Fußballtalent, die Eltern lebten gemeinsam im Haus, aber waren nicht mehr zusammen (was ich zunächst gar nicht verstand), ein seltsam lebloser Kontakt zum Vater, der überdies gebrochen und gedemütigt wirkte, wie ein Fremdkörper im eigenen Haus (ein modernes Siebziger-Jahre-Haus im damaligen Neubaugebiet der Stadt). Was in dieser Familie vorgefallen war, weiß ich nicht, es ist alles denkbar: Sie hat ihn wegen eines anderen verlassen, er sie wegen einer anderen; er hat sie verlassen, ist aber mit der anderen Frau ins Unglück geraten und vegetiert nun als der Schuldige vor sich hin; denkbar auch: H. wird alsKind gezeugt, um die Ehe zu retten, was insgesamt mißlingt. Es war nun so, daß alles, was den anderen Kindern Spaß machte, bei H. fast wie eine Zwangshandlung wirkte. Seine ganze Selbstbeschäftigung wirkte auf seine Umwelt gezwungen. Beim Sport war er – ehrgeizig im gewöhnlichen Sinn möchte ich nicht sagen. Er war keiner von denen, die sich nach einem verschossenen Siebenmeter in der Halle (wir schossen auf Handballtore) rückwärts auf den Boden schmissen, die Hände vor dem Kopf zusammenschlugen und es nicht fassen konnten, daß sie gerade verschossen hatten, oder die sich lauthals bei den Mitspielern beschwerten, wenn die Pässe nicht ankamen oder nicht verwertet wurden bzw. der freistehende Mann gar nicht gesehen wurde. H. hatte kaum Kontakt zu seinen Mitspielern und wirkte auf dem Feld stets wie ein Solitär. Aber er trainierte viel verbissener als die anderen und am liebsten allein. Beim Spiel konnte er sich durch fünf oder sechs Mann hindurchdribbeln und bog seinen schmalen, langen Körper wie einen Bogen Papier im Windstoß nach da und da. Er machte sich beim Dribbeln quasi zur Negativform der anderen und fügte sich genau in ihre Zwischenräume, und sein Schuß war ansatzlos, trocken und äußerst wuchtig. In den Abendstunden stand er stets länger als die anderen auf dem Platz und zirkelte Ball um Ball auf das Tor, immer wieder. H. ging damals, da war erelf, zwölf Jahre alt, zeitweise ganz im Fußball auf, er fertigte Dutzende von Statistiken an und kannte sie allesamt auswendig. Er saß vor dem Radio und zwei Stunden später vor dem Fernseher und notierte Ergebnisse, Torschützen, Tabellen. Kannte, glaube ich, alle Spieler aller Mannschaften. Mit mir spielte er die ganze Europameisterschaft 1980 beim Tipp-Kick durch. Er hatte, was Statistiken anging, einen Vollständigkeitswahn. Und dennoch war er das Gegenteil eines gewöhnlichen fußballfanatischen Kindes, denn hinter allem war immer dieser Traurigkeitshintergrund zu finden, der mir damals selbst noch gar nicht so bewußt war, nach dem ich mir aber bereits die Menschen um mich herum aussuchte, ohne es zu merken. Wenig später verlor sich der Fußball aus H.s Welt, er wurde binnen kurzer Zeit komplett durch das Arno-Schmidtsche Roman-Universum ersetzt. Noch später wurde H. zu einem Nachtmenschen und schrieb, da war er fünfzehn, sehr eigenartige Geschichten, er war der erste

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