Die Stunde Der Toechter
Fluchtwagen konnte jederzeit in alle möglichen Richtungen ausweichen.
Johanna suchte ihre Ausrüstung zusammen, zog eine Jeansjacke über und verließ das Büro. Ihr Dienstwagen stand vor der Wache. Eilig meldete sie sich ab. Dann fuhr sie los. Falls die Entführer versuchten, die Stadt zu durchqueren, würden sie entweder über die Duttweilerbrücke, die Hardbrücke oder die Langstrasse kommen. Letztere war für eine schnelle Flucht ungeeignet. Zu eng, zu viel Verkehr. Der direkte Weg führte über die Hardbrücke. Johanna fuhr in Richtung Hardplatz. Unterwegs klinkte sie sich beim Einsatzleiter ein. Er war froh, einen Wagen mehr zur Verfügung zu haben, und wies sie an, bei der Hardbrücke Position zu beziehen. Ein Einsatzwagen des Sonderkommissariates war bereits dort. Ein zweiter bei der Duttweilerbrücke. Johanna setzte das Blaulicht auf das Dach und schaltete die Sirene ein.
An der Auffahrt zur Hardbrücke stand der Bus des SoKo. Johanna parkte dahinter. Die Dämmerung hatte eingesetzt. Für einen Montagabend war die Brücke stark befahren. Johanna stieg aus und ging zu dem Wagen ihrer Kollegen. Die Fensterscheibe auf der Fahrerseite wurde heruntergedreht. Sie lehnte sich an die Tür und grüßte. Den Fahrer kannte sie flüchtig. Mit der Gruppenleiterin auf dem Beifahrersitz war sie im Kampfsporttraining gewesen. Die Frau war blond und zierlich, konnte aber gewaltig austeilen. Den dritten Beamten auf dem Rücksitz kannte sie nicht.
»Sollten wir nicht die Brücke sperren?«
Die Blonde schüttelte den Kopf. »Wir sollen warten, bis der Wagen auf der Brücke ist. Er soll uns nicht zu früh sehen. Du schaltest besser das Blaulicht aus.«
»Wir sollen mitten im Verkehr auf die Brücke rasen und einen Killer stoppen, der ein Auto gerammt, eine Kollegin überfahren und einen Mann erschossen hat?«
Die Gruppenleiterin rollte mit den Augen. »Bei der Spezialabteilung muss es speziell sein!«
»Speziell fahrlässig oder speziell leichtsinnig?«
Die Blonde grinste. »Speziell männlich.«
»Emanzenalarm«, mischte sich der Fahrer ein. Er zwinkerte im Rückspiegel seinem Kollegen zu. »Für waghalsige Manöver bist du sonst doch auch zu haben, Jo!«
Johanna ignorierte diese Anspielung. Stattdessen schaute sie über den Güterbahnhof hinweg die Lichter von Wipkingen an.
Die Gruppenleiterin deutete auf den Knopf in ihrem Ohr. »Die Pfeifen vom Kanton haben das Fluchtauto verloren.«
Einer plötzlichen Eingebung folgend, rannte Johanna zu ihrem Wagen. »Der Kerl nimmt die Langstrasse!«, rief sie dem Fahrer des SoKo zu, welcher sich aus dem Fenster gelehnt und ihr etwas Unverständliches nachgebrüllt hatte.
Hastig stieg sie ein und startete. Ein halsbrecherischer U-Turn jagte einem entgegenkommenden Smart-Fahrer Todesangst ins Gesicht. Auf dem Rückweg versuchte sie, dem Einsatzleiter klarzumachen, dass der Fluchtwagen über keine der beiden Brücken fahren würde. Vergeblich. Er unterbrach sie verärgert und wies sie an, die Frequenz freizugeben für die richtige Polizei. Sie seufzte und beschloss, ihm diesen Spruch heimzuzahlen. Irgendwann.
Wenn der Fahrer abgebrüht genug war, würde er versuchen, langsam und unauffällig durch das Langstrassenquartier zu kommen anstatt möglichst schnell aus der Stadt hinauszudüsen. Bisher war er extrem kaltblütig vorgegangen. Der Mann war nicht blöd. Auch wenn er versäumt hatte, seiner Geisel das Handy abzunehmen.
Johanna parkte auf dem Gehsteig neben dem Hotel Rothaus an der Ecke Sihlhallenstrasse/Langstrasse und nahm das Blaulicht vom Dach. An der Haltestelle links neben ihr entlud sich gerade ein Bus. Er versperrte ihr die Sicht. Ungeduldig schaute sie zu, wie sich das Knäuel aus Fahrgästen langsam entwirrte. Als der Bus weitergefahren war, blieben die Junkies zurück, die sich hier mit Stoff versorgten. Nun hatte sie einen guten Überblick und sah die Autos, die aus der Langstrassenunterführung herauskamen. Johanna steckte sich eine Zigarette an und wartete.
Im Funkverkehr tat sich nicht viel. Das Fluchtauto blieb verschollen. Wahrscheinlich kurvte der Killer in Nebenstraßen herum und tastete sich langsam vor in Richtung Süden. Wenn er nicht versuchte, über eine der Ausfallstraßen nach Westen oder Norden zu entkommen. Allerdings musste er dort genauso mit Straßensperren rechnen wie an der Hardbrücke.
Es knallte. Sie zuckte zusammen und blickte sich um. Ein Velofahrer quetschte sich zwischen Johannas Fahrzeug und der Hauswand hindurch. Offensichtlich
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